Rezension: “Kaltes Land”

 Hannes Nagel

Rezension „Kaltes Land“

Mittwoch, 13. Juni 2012

Faschismus – die ungeliebte Parallele“

 Die ausführenden Behörden der Hartz-Vier-Paragraphen haben den Zynismus des Erfinders Peter Hartz noch ins Quadrat gesteigert. Denn es ist kaum noch möglich, mit Büchern, Zeitschriften, Flugblättern und anderen Aufklärungsschriften jemanden bewegen, sich mit der täglich begangenen Missachtung der Menschenwürde zu befassen.

Hartz-Vier-Opfern braucht man nicht zu erzählen, wie erniedrigend ein Leben in Hartz Vier ist. Und wer es noch nie erlebt hat, wird sagen: „Wir leben doch in einer Demokratie und haben einen Rechtsstaat“ – der aber scheint Holdger Platta und Rudolph Bauer gefährdet. Beide sind Herausgeber des im Laika-Verlag erschienenen Buches „Kaltes Land. Gegen die Verrohung der Bundesrepublik. Für eine humane Demokratie“. Im Einleitungskapitel fragt Platta ziemlich ungläubig angesichts der Tatsachen und teils auch eigener Erfahrungen, ob die „Entmenschlichkeitstendenzen“ wirklich wahr sein können. Platta wirft die Frage auf: „Ist Deutschland auf dem Weg in einen kalten Faschismus“. Die Frage hat allgemein schon Richard Sennett beantwortet, der die modernen Arbeitswelten für einen „weichen Faschismus“ hält, was im Grunde ein demokratisch verbrämter Faschismus ist. Woraus sich ergibt: Faschismus ist keine Ideologie, sondern eine Methode. Methoden sind wertfrei, manchmal verpönt, und in der Politik ist niemand gefeit gegen die Verwendung geächteter Methoden, wenn man mit der Methode meint Krisen lösen zu können. Plattas Auseinandersetzung liest sich spannend und führt all die reflexdemokratischen Analogieschlüsse ad absurdum. Wenn einer sagt: Bei den Nazis waren die Juden an allem schuld. Wer also heute sagt, die Manager sind an der Krise schuld, ist ein Nazi, also Faschist. Obwohl doch die Methoden nicht von den Kritikern der Methode angewendet wurden. Die Suche nach den zutreffenden Worten in diesem empfindlichen Begriffspark von Nazi, Faschist, Krise, Kapitalismus, Arbeitslosigkeit, Arbeit, Nichtarbeit, Sozialleistung und Menschenwürde gelingt Platta sehr gut. Die Genauigkeit erinnert etwas an einen Essay von Stanislaw Lem mit dem Titel „Provokation“. (Stanislaw Lem, „Provokation“, Wroclaw 1980, Berlin 1985). Der Essay ist die Rezension des fiktiven zweibändigen Werkes „Endlösung Tod“ und „Fremdkörper Tod“ des fiktiven Autors Horst Aspernicus. Lems essayistische Rezension behandelt Völkermord, Holocaust und wie man ticken muss, um an so etwas mitzuwirken. Platta nennt die Tendenz zu Regelsatzkürzung, Isolierung und systematische Reduktion der Sinne von Hartz-Vier-Opfern einen Genozid. Zutreffend.

Die gründliche Auseinandersetzung mit allen Aspekten von Hartz Vier, die Assoziationen an Faschismus, Ausrottung und Genozid wecken, ist von beeindruckender Stärke. Folgerichtig entsteht ein Ruf nach Widerstand, nämlich dem Widerstand, dem Tod und seinen Handlangern zu widerstehen, indem man menschenwürdig lachend sinnerfüllt am Leben bleibt.

Für diesen Teil gehört das Buch gelesen. Lesen. Lesen. Lesen.

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