FEUILLETON-ZEITGEIST: „Mandatserschleichung mit Migranten“

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„Mandatserschleichung mit Migranten“

 Nach den Wahlen sagte das Volk im Landkreis Mecklenburg-Seenplatte: „Nun sollen sie mal zeigen, was sie mit diesem Ergebnis zustande bringen.“ Die Sozialdemokraten blieben die regierende Kraft und die CDU blieb auf Platz zwei. Für Mecklenburg könnte man daher sagen: „Es bliwwt alles beim Alten“. Aber es ist eben die Alternative zu Rechtsstaat und Demokratie (AfD) mit 21 Prozent der Stimmen an 18 Landtagsmandate gelangt. Sie hat sich die 18 Mandate mit Stimmungsmache gegen Migranten in Mecklenburg-Vorpommern  erschlichen. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte war statistisch und wahlrechtlich in Römisch Vier und Römisch Fünf geteilt worden. Seenplatte Römisch Vier umfasst Neustrelitz, die Gemeinde Feldberger Seenlandschaft, Neustrelitz-Land und die Kleinseenplatte. Zur Kleinseenplatte gehören wiederum der gesamte Müritz-Nationalpark, die Gemeinden Priepert, Wustrow, Wesenberg sowie Quassow. Sonstige Siedlungsgebiete erfasst die Kleinseenplatte unter „Umland“. Seenplatte Römisch Fünf umfasst den Landkreis Müritz, das Amt Penzliner Land und die Ämter Friedland, Neverin, Stargarder Land und Woldegk. In Römisch Vier klebten von 20.971 tatsächlichen Wählerstimmen 4.400 Stimmen die Alternative zu Rechtsstaat und Demokratie (Afd) an die Backe der im Schweriner Landtag vertretenen Demokratinnen und Demokraten. Diese haben nun neben den eigentlichen Aufgaben der Landesverwaltung auch eine Partei zu beachten, die sie für rechtspopulistisch halten und daher weitestgehend ignoriert werden muss. Das können sie aber nicht tun, ohne sich durch solcherlei Ignoranz selber dem Vorwurf der Öffentlichkeit auszusetzen, nicht ganz demokratisch in ihrer Wertewelt zu sein. Denn die Wahl verlief ganz normal. Nur Art der Wählermobilisierung durch die Alternative zu Rechtsstaat und Demokratie lief unter Vortäuschung nicht bestehender Unrechtsfälle ab. Sie sagten über Migranten: „Sie klauen in den Läden und belästigen deutsche Frauen“. Die Einpeitscher nannten auch Sozialmissbrauch als Straftat. Es ist kein Unrecht, wenn in Not geratene Menschen auf der Flucht in Deutschland um Hilfe bitten. Aber es ist ein großes Unrecht, daraus ein Problem zu konstruieren, zu dessen Lösung man parlamentarische Verantwortung und Möglichkeiten braucht. Migranten sind nicht durch Herkunft und Schicksal kriminell, und Abschiebungen sollen Ausnahme statt Regelfall sein.

Aufgeschnappte Ware geht bräsig übern Ladentisch.

Angenommen, es würde die Forderung erhoben, dass der Missbrauch der Sozialgesetzgebung als kriminelle Straftat gelten soll. Und dann würden sich die sozial Entrechteten erheben und sagen: „Jawoll, die Rot-Grüne Verelendungspolitik ist kriminell. Endlich sagts mal einer.“ Mit halbwegs kühlem Kopf wäre Ihnen klar, dass die Entrechteten Blödsinn reden, denn keine Regierung würde sich selbst meinen, wenn ihr Handeln als kriminell eingestuft würde. Vielmehr würde es doch völlig klar erscheinen, dass die Entrechteten ihr individuelles Unverständnis der Lage zur umfassendsten Erkenntnis der politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge erklären. Analog handelt die Afd. Ihr individuelles Unverständnis von Neoliberalismus, Arbeitslosigkeit, Altersarmut, Krieg und Vertreibung beschuldigt Neubürger, sozusagen rückwirkend für die schon lange währende Zeit der Arbeitslosigkeit und der sozialen Ausgrenzung verantwortlich zu sein. Und nun kommen Flüchtlinge her und bekommen jeder ein Smartphone. Ja, aber es sind die Smartphones, die bei den Händlern sowieso nur noch Ladenhüter waren. Außerdem tragen sie piekfeine Kleidung. Ja, aber es sind saubere Sachen aus der Second-Hand-Versorgung von Bedürftigen. Kleiderkammer, nicht Neues. Aber manchmal hört man an Bushaltestellen oder in den Regionalzügen dass „die“ alles kriegen und die armen Hartz-Vierer von hier kein Geld zum Wäsche waschen haben. Wer soll eigentlich der Afd für diesen Stuss einen Vogel zeigen, wenn ein Fünftel der Wähler klammheimlich sagt: Ganz egal ob es stimmt, Hauptsache ist, das Ziel „Ausländer weg“ wird erreicht? Das Parteiprogramm der Afd bestand zur Landtagswahl 2016 aus aufgeschnappter Ware, die bräsig über Ladentisch ging. Dabei klang sie zuweilen ganz niedlich. Die Afd will zum Beispiel die GEZ abschaffen. Was für einen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk sie stattdessen will, kann sie nicht sagen. Das ist nicht weiter schlimm, denn das Thema ist so kompliziert, das selbst Experten Mühe haben, sich darin zurecht zu finden. Aber das weiß die Afd nicht. Darüber hinaus findet sie, dass der Landtag verkleinert werden muss. Da könnte sie mit gutem Beispiel voran gehen. Die meisten anderen Themen heißen Bekämpfung von Islamisten und konsequente Ausweisung von Ausländern. Die Afd weiß nicht, was sie mit Islamisten bekämpfen meint. Ihr Kampf sieht aus wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Das ist ein fauler Wind, den die Afd da im Lande ablässt. Denn in Bezug auf Ausländer und deren Straftaten hat das Landeskriminalamt eine Kriminalstatistik und die Afd nur ein paar Tendenzen. Im Großen und Ganzen macht das Programm den Eindruck, dass die Damen und Herren hier und da etwas aufgeschnappt haben, dies dann politisch nicht begriffen und das Ganze dann als Denkprodukt engagierter Bürger verkaufen, die eine Alternative für Deutschland suchen. Deutschland ist theoretisch noch ein demokratischer Rechtsstaat. Wieso sucht die Afd hierfür einen Ersatz? Schwer vorstellbar, dass ein dummes Fünftel dies für bare Münze genommen hat. Die Alternativen Falschgeldgießer mögen bitte mal bei Baruch Spinoza nachlesen: „Von zwei Dingen, die nichts miteinander zu tun haben, kann eines nicht die Ursache des andern sein“. Und darum tritt die Menge von Asylanträgen von Kriegsflüchtlingen zwar zeitgleich mit dem inneren Sozialabbau einer neoliberal gesteuerten Wirtschafts-und Arbeitsmarktpolitik auf. Aber den behaupteten ursächlichen Zusammenhang gibt es nicht.

Die Statistik hat Zahlen, die Afd hat Tendenzen.

Die Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2016 wird im Januar 2017 veröffentlicht. Denn die Kriminalitätsstatistik ist eine reine Eingangsstatistik. Die Eingangsstatistik, so erklärt es das Polizeipräsidium Neubrandenburg, erfasst alle Anzeigen des laufenden Jahres und bereinigt sie spätestens bis Anfang des Folgejahres. Dann tauchen nur noch die gelösten Fälle auf, und die eingestellten Fälle zählen nicht mehr als Kriminalfälle. Das ist so ähnlich wie das Herausrechnen von Maßnahmen aus der amtlichen Arbeitsmarktstatistik. Die Ansiedlung der Neubürger kam gegen Ende 2015. Für die wenigen Monate bis 2016 kann man den Zahlen keine Aussage entnehmen, weil schlicht noch gar keine Gesamtheit der Fälle erfasst wurde. Im Umkehrschluss heißt das, dass es auch völlig unmöglich ist, überhaupt wichtige Zahlen zu nennen. Zumindest tauchen Ausländer nicht  – also in keinem Fall – bei Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag oder Vergewaltigung auf. Das aber sind genau die Delikte, mit denen die Afd Stimmung vor den Wahlen machte. Es wollte auch niemand von ihr irgendeinen Beleg für die vorgebrachten Behauptungen haben. Aber ist sie deshalb schon ein Ventil für den Auslass angestauter Stimmungen in der Gesellschaft? Bezogen auf den Landkreis Seenplatte in Mecklenburg gab es bis August 2016 genau 421 Ablehnungen von Asylanträgen. 81 reisten nach Behördenangaben „freiwillig“ aus. Bei 58 Ablehnungen wurde die Abschiebung vollzogen, und zwar in jedem Fall durch die Amtshilfe der Landespolizei. 59 Abschiebungen scheiterten. Über die im September und Oktober anstehenden Abschiebungen gab es keinerlei behördliche Auskünfte. Statistische Angaben aus dem Landesamit für Innere Verwaltung lagen bis Redaktionsschluss nicht vor. Sie werden nachgereicht, sobald sie das Amt nachgereicht haben wird.

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