FEUILLETON-REZENSION: Deep Green Resistance

FEUILLETON-REZENSION

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„Deep Green Resistance“

„Es geht darum, zurück zu schlagen“

Deep Green Resistance ist ein Buch mit außerordentlich radikalen Einfällen. Eine der ersten Formulierungen hißt: „Es geht darum, zuück zu schlagen“. Zurück schlagen bedeutet, das jemand zuerst schlägt. Auf dieser „Jemand“, der Ntur, Kultur, Schöpfung und Geist schlägt, zeigen die Autoren mit dem Zeigefinger und rufen „Der ist es“, und wenn man hinschaut, sieht man den Neoliberalismus. Man solle ihn aber nicht mit der Globalisierung als Ganzem werwechseln. Neoliberalismus ist nur eine faschistische Ausprägung vom Wegfall der Grenzen, weltweitem Handel freiem Personenverkehr, den viele am Anfang der Globalisierungg seit ungefähr 1990-95-97 erwartet hatten. Diese Erwartung von Globalisierung könnte man eher „Kosomopolitismus“, also „Weltbürgerschaft“, nennen. Daran hatten sogar schon Gotthold Ephraim Lessing und Johann Wolfgang von Goethe herum gedacht.

Bremsklötze vor die für den Profit rollenden Räder

Im zweiten Weltkrieg forderten Durchhalteparolen in Deutschland: „Räder müssen rollen für den Sieg“. Wer bremste, wurde erschossen. Die für den Profit rollenden Räder des Neoliberalismus wollen die Autoren von Deep Green Resistance“ unbedingt bremsen. Also werfen sie Bremsklötze vor die Räder.

„Das Buch handelt vom Gegenschlag“, schreiben die Autoren. Sie machen unmißverständlich klar, dass sie mehr von tatkräftigen Handlungen halten als vom vernunftorientierten Handlungen. Dann könne der auf die Klippen zutreibende Kahn „Erde“ wieder auf die freie See zu bekommen. Die Erde muss sich aus der Gefahr ihrer eigenen Strandung freisegeln. Wenn nichts hilft, muss die Mannschaft also meutern.

Starker Tobak, was? Aber das ist noch gar nichts. Der richtig harte Stoff kommt erst noch.

Die Autoren benutzen ausgerechnet Ausschwitz, um den Umgang der Wirtschaft mit den Ressourcen der Erde mit dem Umgang der Lagerärzte nit den Opfern zu vergleichen. Das geht nicht. Es gibt logische Herleitungen, die einen Mord oder einen Krieg als gerecht aussehen lassen. Aber genau an dieser Stelle muss das Innere Stoppsignal sagen: Halt, Fehler in der Herleitung – Ergebnis ist falsch. Denn es gibt keine gerechte Gewalt und keinen gerechten Krieg. Die Autoren meinen mit ihrem Vergleich übrigens, dass der Neoliberalismus nur soviel Regenwald oder Bodenschätze übrig lässt, wie er braucht, damit sich seine Zerstörungswut nicht gegen ihn selbst richtet. Und die Opfer der KZ wurden nur minimal am Leben gehalten, um auch noch die letzten Kräfte zum Profit einzusetzen. Dann erst, nach vollständiger Ausquetschung, würden sie weg geschmissen. Die Autoren hier hätten ein Originalzitat von Heinrich Himmler benutzen müssen, wenn diese Vergleichskonstruktion ausgedrückt werden sollte. Himmler sagte nämlich 1943: „Ob ein paar Millionen russischer Weiber und Kinder beim Ausheben von Panzergräben verrrecken, interessiert mich nur soweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.“ Dann wären sie der Eignung eines Vergleichs des Neoliberalismus mit dem Faschismus wesentlich näher gekommen.

Gründliche Untersuchung des Neoliberalismus

Mit dem Liberalismus und seiner jetzigen Form halten sich die Autoren lange genug auf, um festzustellen, dass er sich in seiner langen Geschichte ab Adam Smith 1776 einer gründlichen Analyse entzieht. Neoliberalismus basiert nämlich nicht auf dem Denken und aus der Basis von Ideen, sondern auf der materiellen Grundlage des Profits. (Seite 48). Das Denken überlässt er der Kultur, die er aber nicht bezahlt, weil sie ihm zu wenig materiellen Wohlstand einbringt. Wie sollte sie das auch, wenn sie so schlecht bezahlt wird?

Und dann wundert man sich jahrelang über das Gefühl, die Politik würde das Denken dem Geld überlassen

Danach kommt das Thema Gewalt.

Gewalt kann sich gegen Menschen oder Sachwerte richten. Wenn Randale ist und Autos angezündet werden, vermischen sich beide Formen. Fliegt ein Stein in eine Schaufensterscheibe, fliegt gleich darauf eine Bullenfaust in ein Demonstrantengesicht. Niemand kann dann mehr kausal erklären, wie die Gewalt zustande gekommen ist. Das ist im Falle Israel versus Palästina ähnlich. Niemand weiß mehr, ob Gewalt gerade Gegengewalt gegen eine vorher begangene Gewalttat der anderen Seite ist.

Vernünftige Menschen kommen da gerne mal auf die Idee, zur Gewaltlosigkeit überzugehen. Für diese Haltung werden sie meistens Spinner genannt.

Widerstand.

Die schwierigste Frage des Buches ist die Frage, wie eine Kultur des widerstands aussehen müsste und wie sie tatsächlich aussieht. Kann es also einen gewaltfreien Gegenschlag geben? Was ist überhaupt Widerstand? Die Autoren erörtern ernsthaft eine kleine jugendliche Rebellion als Aufstand gegen elterliche, schulische oder pädagogische Autorität. Aber das ist kein Widerstand, sondern das Trainieren von Kräften, um sie für vernünftige Zwecke einsetzen zu können. Ohne diese Erkenntnis bleibt Gewalt die ewig dumme Forderung: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Zum besseren Kaputtmachen behandeln die Autoren dann Taktiken des militanten Widerstands. Das geht bis hin zu Untergrundbewegungen und Einbeziehung der Bevölkerung in militante Aktionen. Aber von Frieden lernen, um Gewalt und Krieg überflüssig zu machen, steht nichts in dem ansonsten gründlich erarbeiteten Buch.

Und damit ist das 320 Seiten lange Buch zu kurz gedacht.

Derrick Jensen, Lierre Keith, Aric McBay, „Deep Green Resistance. Stratgien zur Rettung des Planeten“, Promedia-Verlag, Wien 2020)

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