FEUILLETON-ZEITGEIST: Erinnerungen an Solferino

FEUILLETON-ZEITGEIST

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Teil 1

„Erinnerungen an Solferino“

Am 17. Februar 1863 stellte Henry Dunant der Gemeinnützigen Friedensgesellschaft von Genf eine Idee vor, die eine Organisation aus internationalen Freiwilligen Helfern zum Schutz, zur Pflege und zur Versorgung von Verwundeten in Kriegen anregte.

Aus dieser Idee entstand das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Henry Dunant hatte im Juni 1859 die entscheidenden Gemetzel eines, wie immer, völlig unsinnigen Krieges zwischen Österreich einerseits und den miteinander alliierten Truppen Kaiser Napoleeon des Dritten erlebt. Napoleon der Dritte war ein Nachfahre des „Kleinen Korsen“, der erst 1815 in der Schlacht bei Waterloo ins Exil verstoßen wurde.

Dunants Beschreibungen der Kriegsgräuel

Das Zeitfenster von Henry Dunants Leben öffnete sich 1828. Es schloß sich 1910 in der Schweiz. Zwischen dem 24. und dem 26. Juni 1859 befand sich Henry Dunant zwischen Paris und Zürich auf einer Geschäftsreise. Die Unwägbarkeiten der Geschichte: Wetter, Straßenzustand, ungeplante Reisestopps – brachten es zustand, dass er bei Solferino Zeuge einer brutalen Kriegsmetzelei zwischen Frankreich und Italien einerseits und den Österreichern andererseits wurde.

„Es ist ein Gemetzel wilder wütender Tiere. Wer keine Waffe mehr hat, fasst seinen Gegner an der Gurgel und zerfleischt ihn mit den Zähnen“ Seite 13

„Wie viele dieser Leute waren schon mit dem 20. Lebensjahre zum Menschenmord gezwungen“ Seite 24

„Während einer Schlacht pflegt man ein rotes Fahnentuch auf einer Anhöhe aufzustecken, um den Verbandsplatz für die Verwundeten und die Feldlazarette der im Kampf stehenden Regimenter zu bezeichnen und durch ein stillschweigendes gegebnseitiges Übereinkommen wird nach diesen Punkten nicht geschossen.“ Seite 34

„An vielen Stellen werden die Toten von den Dieben völlig entkleidet, die selbst die verwundeten, bei vollem Bewusstsein, nicht verschonten. Besonders hatten es die lombardischen Bauern auf die Fußbekleidungen abgesehen, die sie den Verwundeten unbarmherzig von den geschwollenen Füßen rissen.“ Seite 39

Das alles beobachtete Dunant zwischen dem 24 und 26. Juni 1859 in Solferino. Er war zuerst von Algerien nach Paris gereist umd mittels einer 46 Seiten starken Broschüre erstens die Aufmerksamkeit von Kaiser Napoleon dem Dritten und zweitens dess Genehmigung zum Landkauf in Algerien zu erwerben. Die Grundstücke brauchte Dunant für eine rentable Unternehmenstätigkeit in Algerien. Der Kaiser war aber schon im Mai auf den künftigen Kriegsschauplatz gereist. Wahrscheinlich konnte er das Schlachten nicht länger erwarten. Dunant reiste also hinterher war daher zur gleichen Zeit am selben Ort wie der Kaiser. Wegen der Gemetzel konnte er nicht mehr weg und begann mit anderen Freiwilligen Zivilisten wenigstens die Verwundeten zu versorgen

Drei Jahre nach dem grauenhaften Gemetzel fand Dunant wieder Worte, um das Unbegreifliche Morden zu benennen und Schlussfolgerungen zu ziehen. In der Broschüre „Erinnerungen an Solferino“ schrieb Dunant 1863, dass die ausführliche Darstellung der Gräuel den Sinn hatten, seine handlungsorientierten Schlussfolgerungen jedem Leser über den Eindruck der Bilder verständlich zu machen. An die Gemeinnützige Friedensgesellschaft Ber schrieb er:

„Wäre es möglich, freiwillige Hilfsgesellschaften zu gründen, deren Zweck ist, die Verwundeten in Kriegszeiten zu pflegen oder pflegen zu lassen?“

Die internationalen Gesellschaften vom Roten Kreuz entstanden.

Teil 2

„Der Rhein wird auch am Po verteidigt“

Das Jahr 1859 war nicht nur durch die Schlacht von Solferino traumatisch für Soldaten und Zivilisten in Europa. Der Militärtheoretiker Friedrich Engels machte im März 1859 ein politisches Schlagwort zum Titel seiner bei Franz Duncker in Berlin erschienenen Broschüre „Der Rhein wird auch am Po verteidigt“. Louis-Napoleon III wurde unterstellt, seine Kriege in Italien hätten eigentlich den Rhein zum Ziel. Argwöhnisch und mit zunehmend aggressiven verbalpropagandistischen Säbelgerassel reagierten die Hüter des Stromes, wie sich die Nationaldeutschen in dem Lied „Die Wacht am Rhein“ selber nannten. Das Rheinlied wurde 1840 geschrieben. Johann Gottfried Herder gab 1778 eine Sammlung von Liedern aller Völker und Zeiten heraus. In einer Jubiläumsausgabe von 1888, die im Verlag Kramer in Hamburg erschien, wird der Liedtext posthum aufgeführt. Engels klärt zuerst die Herkunft des zum geflügelten Wort gewordenen Satzes „Der Rhein wird auch am Po verteidigt“. Er sagt, dass der Ausspruch aus einem früheren Italienkrieg von 1848 und 1849 stammt. Dort äußerte sich ein General von Willisen erstmals mit diesen Worten. Und Willisen sagte auch: „Deutschland ist eine mitteleuropäische Großmacht“. Das erinnert fatal an die Anfang 1991 aufgekommene Formulierung des damaligen Bundeswehrinspekteurs Klaus Naumann: „Deutschland ist eine kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen“. Er fügte dann noch den Krisenbogen von Marokko bis Indonesien hinzu – den Rest erledigte Verteidigungsminister Volker Rühe mit den „Außenpolitischen Richtlinien der Bundeswehr“, deren deutlichster Ausdruck die Bombardierung Südjugoslawiens im Balkankrieg der 90er Jahre war. Weil die Franzosen in der Lombardei eigentlich eine Lücke sagen, durch sie sie von Süden an den Rhein konnten, gab es militärhistorisch betrachtet die lombardische Lücke, so wie später die Fulda-Lücke und heute die Suwalko-Lücke, wo der böse Russe den NATO-Partner Polen überfallen will. Damals sollte er Rhein am Po verteidigt werden, später Deutschland auch am Hindukusch, und beides mit der fast wortgleichen Begründung der Sicherung von Handelswegen und Rohstofflieferungen sowie der führenden Rolle Deutschlands in Europa.

Teil 3

„Und nu?“

172 Jahre mit kleinen, großen und bisher zwei globalen Kriegen sind seit 1848 vergangen. Es folgte ein Kalter Krieg, dem ein Kontrahent abhanden kam. Spätestens seit 2014 ist das Säbelrasseln für einen neuen heißen globalen Krieg unüberhörbar. Die einflussreichsten Waffenexporteure sehen sich als verantwortungsvolle Friedensfreunde. Die Zivilverteidigung wird fit für Ereignisse gemacht, die bevorstehen. Das könnte im glimpflichsten Falle heißen: Wenn ein ganzes Land in den Planungen eines Bündnissystems zum rückärtigen Truppenverbandsplatz und Sanitätsversorgungsgebiet erklärt wird, über dem Henry Dunants Organisation vom Roten Kreuz lebensbeschirmend die Fahne hält, dann schützt das auch die Zivilbevölkerung vor Kriegserlebnissen. Und Arbeit wäre genug für alle da.

Literatur:

Henry Dunant, „Erinnerungen an Solferino“, 1863

Friedrich Engels, „Der Rhein wird auch am Po verteidigt“, 1859

Johann Gottfried Hegel, „Lieder aller Völker und Zeiten“, 1778

Klaus Naumann, in: „Naumann-Papier November 1991

Volker Rühe, „Verteidigungspolitische Richtlinien“, 1992

Yvonne Steiner, „Henry Dunant. Biografie“, Appenzeller Verlag, Herisau 2010

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