FEUILLETON-REZENSION: “Herrschaft der Angst”

FEUILLETON-REZENSION – Herrschaft der Angst

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Titel: Herrschaft der Angst

Autor(en): Hannes Hofbauer, Stefan Kraft (Herausgeber)

„Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“

Im März 2021 kam im Wiener Promedia-Verlag das Buch “Herrschaft der Angst” über das Zusammenwirken von Angst, Bedrohung und Ausnahmezuständen heraus. Die Autoren ordneten dabei die Angst vor, um und mit Corona in die lange Geschichte der Angst als Herrschaftsinstrument ein. Fazit: Gute Aufklärung gefährdet die Wirksamkeit von Bedrohungskulissen als Machtmittel

Irgendwann wird einmal die Frage zu beantworten sein müssen, weshalb und wie es Medien gelingt, die Politik aufzustacheln. Das Machtpolitiker jede Steilvorlage für den Erhalt der Macht einzusetzen pflegen, darf als bekannt und mittlerweile sattsam erwiesen vorausgesetzt werden – womit ausdrücklich keine ehrbaren Idealisten gemeint sind, die die Vorstellung bewahren, Politik sei Dienst am Gemeinwohl. Bis dahin ist aber eine seriöse Vorgeschichte des eingetretenen Zustands erforderlich. Diese seriöse Vorgeschichte leistet Kapitel 1 von „Herrschaft der Angst“, in welchem der Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann aus Tel Aviv, der Historiker Jochen Hirsch aus Frankfurt, der Autor Wolf Wetzel, die Politologin Birgit Sauer aus Wien, die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz und der Jurist und Autor Norman Paech zu Wort kommen. Es schließen sich noch vier weitere Kapitel an mit weiteren hochkarätigen Namen der beitragsverfaßthabenden Personen.

Was ist Angst?

Von dem Philosophen Moshe Zuckermann stammt der bereits 1995 veröffentliochte Auftaktstext. Er schreibt: Poltik und Angst sind deshalb eng miteiannder verbunden, Macht und Sicherung von Macht auf der Angst der Beherrschten beruhen. Wehe dem Mächtigen, wenn die Ängstlichen zornig werden. 1

Laut Wörterbuch ist Angst ein Gefühlszustand bei Gefahr. Die Gefahr kann echt sein, zum Beispiel ein hungriges Löwenrudel, das sich einem Forschungsreisenden nähert. Auch ein drohender Vulkanausbruch ist eine reale Gefahr. Hilfe, die Russen kommen war hingegen immer eine künstlich geschürte Angst, damit niemand die Russen leiden möge. 2

Angst ist also ein Gefühl, welches von tatsächlichen oder behaupteten Gefahren hervorgerufen werden kann. daher ist es kein Wunder, dass das Wissen über die Steuerbarkeit von Angstgefühlen bei Herrschaftspraktiken aller Zeiten ein unverzichtbares Mittel der Herrschaftstätigkeit war. 3

Zwei gleichzeitig auftretende Gefahrensituationen beschreibt Zuckermann: Angstauslöser und Angstquellen. Vor dem Auslöser hat man Angst – vor der Quelle nicht. Denn kaum jemand erkennt die Quelle, wenn der Auslöser für die Quelle gehalten wird. So kann die Qelle dann ungestört im Hintergrund weiter sprudeln. Das Belegbeispiel für das Verhältnis von Auslöser und Quelle findet Zuckermann im Verhältnis zwischen sichtbarer Gewalt der SA und der unsichtbaren Gewalt der kapitaliatischen Märkte. 4

Dann kommt Joachim Hirsch zu Wort. Seinen Beitrag nennt er selbst eine „staatstheoretische Beschreibung“. Hirsch zählt nun eine Fülle von Wissenschaftlern und Staatstheoretikern auf, die sich alle auf den Grundgedanken zurückführen lassen: Der Staat steuert das Verhalten seiner Bürger wie eine Art Schutzgelderpresser. Manche Herrschaftsformen erzeugen mehr Angst als andere, und bei einigen sagt man sich, „noch mal Glück gehabt“, aber „frei“ wähnen kann man sich in keiner Herrschaftsform. Im Kalten Krieg konnten die Herrschenden mit der Angsteinrede der gegenseitigen militärischen Bedrohung handlungsunfähig machen oder den Nachdenkwillen lähmen. Als der Kalte Krieg kein Schreckgespenst mehr war, kam die Stunde des Islamismus und des Terrors als großes Schreckgespenst. Und jetzt ist es eben Corona, schreibt Joachim Hirsch. Aber er schreibt auch ausdrücklich:

„Es ist völlig unangebracht, wenn behauptet wird, dies wäre irgendwelchen dunklen Mächten planmäßig ins Werk gesetzt worden. Die Pandemie wird jedoch herrschaftstechnisch benutzt, nicht nur zur Aufhebung zentraler Grund-und Freiheitsrechte, sondern auch zum weiteren Ausbau des Kontroll-und Übewachungsstaaats.“
Seite 19

Und diese Ausnutzung einer unangenehmen Lage, aktuell Corona, zum Stillen Ausbau der Geheimen Träume aller Herrschaftssysteme aller Zeiten ist die eigentliche Bedrohung neben der lösbaren gesundheitlich-medizinischen Aufgabe. Hirschens Exkurs über Staatstheorie und Herrschaftssicherung umfasst auch Michel Focault „Überwachen und Strafen“ sowie „Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit“. Darin benutzt Focault den Ausdruck Biopolitik, die die Anzahl der den Kapitalismus zur Verfügung stehen sollenden Menschen mit Familienplanung, mit Zeugungsanreizen oder finanziellen Behinderungen steuern soll. 5

Der nächste Autor im Reigen der 14 Autoren ist Wolf Wetzel, der eine „Chronologie von Ausnahmezuständen“ in Deutschland beisteuerte. Wolf Wetzel räumt gründlich auf zwischen den Ausnahmereglungen, die wegen Corona erlassen wurden, und dem Vergleich dieser Ausnahmereglungen mit den Notverordnungen am Ende der Weimarer Republik. Nichts, aber auch gar nichts, haben sie gemein. Die Notverordnungen der Weimarer Republik machten das Land am Ende unregierbar und lieferten es ganz parlamentqarisch den Nazis aus, die dann die parlamentarische Demokratie abschafften. Die unerfahrene Mannschaft des Schiffes „Deutsche Demokratie“ wurde von der weder erfahrenen noch demokratisch geschulten Nazi-Meuterern von Ruder, Schot und Kompass verdrängt und das Schiff nach 12-jähriger Kotzfahrt hinein in die Klippen gesteuert. Aus den morschen Planken entstand das Neue, entstand eine erfolgreiche bürgerliche Demokratie.

Und diese wich auch nicht vom Kurs ab oder kenterte, als die AfP in Erfurt versuchte, ein ganzes Bundesland zu erobern.

Wetzel erörtert auch ziemlich genau, welche Abgrenzungen es zwischen Notstandsgesetzen, Antiterrormaßnahmen und den Einschränkungen aus dem Infektionsschutzgesetz es gibt. Es ist dumm, alles in einen Topf zu werfen, was ähnlich aussieht, ohne auf die Bedingungen einzugehen, auf die dieses Maßnahmen reagierten.

Und weiter geht das Buch mit einem Beitrag von Birgit Sauer. Sie befasst sich mit den langfristigen Folgen, die die Einschränkung von Freiheiten und die Politik der Angst für die Gesellschaft haben KANN. Sie kommt nicht umhin, mit der „neoliberalen Marktdominanz“ zu beginnen, die in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eindringt – zum Teil sogar ins innere von Familien. Von Kaltherzigkeit gegenüber Migranten braucht man dann gar nicht erst verwundert zu reden.

Marleene Steeruuwitz sinniert hingegen über das Wort „Herrschaft“ nach. Vom maskulinen Beiklang des Wortes geht es weiter über den zunehmend imperativen Sprachgebrauch, der häufig in Behördendeutsch zu finden ist. („Sie haben…Anderenfalls müssen wir Sie…Werden wir Sie….“), und diese Tonart verhindert und provoziert gleichzeitig ein kräftiges „Du mich auch“. Herrschaft, schreibt die Autorin, ist eine „traurige Angelegenheit“, weil sie eigentlich nur ein Selbstzweck ist. im Grunde kann man sie nicht einmal dadurch besiegen, dass man sie besiegt, weil dadurch nur eine neue Herrschaft eine alte Herrschaft ablösen würde. Die Ausweglosigkeit der Menschen, die einem Herrschaftswechsel unterworfen sind, bleibt bestehen.

In eine ähnliche Richtung zielt Norman Paech. Sein Beitrag heißt „Der unendliche Ausnahmezustand“. Er meint hier nur Einen, nämlich den Lockdown bezüglich Corona. Die Angsterzeugung findet auf drei Ebenen statt:

-Angst vor der Ursache an sich, also das Virus
-Angst davor, über das Thema zu reden, weil man politisch diffamiert wird
-Angst davor, dass da noch mehr zum Nachteil der Bevölkerung ersonnen wird

Damit ist das Diskussionsfeld abgesteckt. Es geht dnach nur noch um ein paar Farbdetails, die dem bisher gemalten Bild von Angst und Schrecken hinzugefügt werden. Der sinn von Angsteinflössung ist nur zu begreifen, wenn man Angst als Herrschaftsmittel versteht. Die Angst die die Herrschaft erzeugt, muss immer größer sein als die Angst der Herrscher vor den Beherrschten.

Angst wirkt nur, wenn sie von allen gefühlt wird,
Leitmedien haben nur Angst vor dem Bedeutungs-und Profitverlust.
Daher verbreiten sie die Angst, die andere erzeugen.

Um Ängste abzubauen, braucht die Gesellschaft Transparenz.

Denn Transparenz ist Freiheit.

Anmerkungen

1 Moshe Zuckermann, „Geschichte , Angst und Ideologie“

2 Das Beispiel mit dem Löwen beschrieb Ernest Hemingway in einer Geschichte über die Löwenjagd. Dain heißt es: „Vor einem Löwen hat man immer dreimal Angst: Das erste Mal , wenn man ihn hört, das zweite Mal, wenn man ihn riecht und das dritte Mal, wenn man ihn sieht“. Das mit den Russen stanmmt aus der Bedrohungserwartung aus der Zeit des Kalten Krieges.

3 Der große Staatsmann Thomas de Maiziere hat darauf ndirekt hingewiesen, als er in seiner Funktion als Innenminister die Absage eines Fussballspiel mit Hinweis auf die Allgemeine Gefahrenlage absagte, absagte. Befragt ach einer Erläuterung erklärte er, er werde sie nicht geben. „Teile Informationen würden die Bevölkerung verunsichern.“ Der Spruch wurde ähnlich legendär wiue Walter Ulbrichts Versicherung: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“

4 Zuckermann verweist dabei auf Adorno: „Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda“ sowie auf Sigmund Freud, „Massebpsychologie und Ich-Analyse“.

5 So kommt es wohl auch, dass der Neoliberalismus eine Sockelarbeitslosigkeit braucht, um glaubwürdig soziale Abstiegsängste zu erzeugen.

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