APROPOSIA: Von der Verödung des öffentlichen Lebens

APROPOSIA

 Von der Verödung des öffentlichen Lebens

Moderatorin: „Guten Abend, Erlauchte Runde. Wussten Sie schon, dass die Wissenschaft jetzt einen Begriff gefunden hat für den verschwundenen Zeitgeist? Verödung des öffentlichen Lebens nennen sie das.“

Unker: „Ist ja noch viel schwieriger vorstellbar als das Wort Zeitgeist selbst.“

Moderatorin: „Na, was ist denn Ihrer Meinung nach Zeitgeist? Herr Dr. Liberalitas, wollen Sie zuerst?“

Dr. Liberalitas: „Also Zeitgeist ist die Wahrnehmung der Freiheit in der Verantwortung oder der Verantwortung in der Freiheit – Zeitgeist hat also immer etwas mit Verantwortung zu tun, und weil außer Uns Wenigen keiner mehr Verantwortung trägt, ist der Zeitgeist verschwunden.“

Zwischenrufer: „Na, wenn DAS der Zeitgeist sein soll, dann ist es kein Wunder, dass er lieber woanders hingeht, zum Beispiel in die Natur zurück.“

Dr. Liberalitas: „Es weht ein neuer Zeitgeist durch das Land, der das alte Drückebergertum abgelöst hat.“

Moderatorin: „Und das wäre dann die Verantwortung?“

Dr. Liberalitas: „Jawoll.“

Moderatorin: „Verantwortung besaß auch schon der verschwundene Zeitgeist, aber der besaß auch Kultur, Mitgefühl, Solidarität, Nachbarschaftshilfe, Gegenseitigkeit, Bildung, Vertrauen und Zuverlässigkeit.“

Unker: „Aber leider noch keinen Sinn für Nachhaltigkeit.“

Dr. Liberalitas: „Wo soll es den denn jemals gegeben habe – wo sich genau dies doch erst jetzt im neoliberalen Verantwortungsgeist entfalten kann?“

Zwischenrufer: (unverständlich murmelnd) „Oh Gott ist das geistlos“

Moderatorin: „Dr. Liberalitas, ich sag Ihnen kurz, wie das Buch über den verödeten Zeitgeist heißt. Also das Buch heißt: Der Kampf um die Deutung der Neuzeit, aber bei dem Titel weiß ja keiner, was gemeint ist, darum nannte das Magazin Telepolis das ganze per Überschrift Eine unglaubliche Verödung des öffentlichen Lebens.“

Dr. Liberalitas: „Und was hab ich damit zu tun?

Moderatorin: „Persönlich nichts, aber als Sprachrohr.“

Dr. Liberalitas: „Sprachrohr?“ (denkt: Verdammt, wo ist die Sehr kluge Frau, wenn man sie mal braucht?)

Sehr kluge Frau: (vorm Fernseher): „Sieh da, sieh da, der Dr. schwimmt.“ (grinst zufrieden)

Moderatorin: „Naja, zum Sprachrohr sind Sie ja bestimmt. Muss ja kein Kanonenrohr sei, das wäre ja ein ödes Zeichen der Zeit. Sehnse ma, es wäre doch schön, wenn die unterschiedlichen Kulturkreise mit Neugier und Interesse aufeinander zugingen statt mit Schwert und Faust und Stein und Drohnen.“

Dr. Liberalitas: „Und wir, die wir unseren Gestaltungspielraum immer mehr erweitern, erleben beglückt, das befreiung schoner ist als Freiheit.“

Moderatorin: „Na frei sein wollen wir doch bestimmt alle.“

Dr.Liberalitas: „Das betrifft auch Menschen, die sich oft ohne große Überzeugung angepasst, ohnmächtig gefühlt oder in Nischen eingerichtet haben.“

Zwischenrufer: „Dr. Liberalitas, haben Sie gerade eine andere Matrix erwischt?“

Dr. Liberaltas: „Ich spreche von einem Klima der Angst und der Ohnmacht, in dem sich viele anpassen, dem Druck nachgeben und in Nischen einrichten.“

Unker: „Also ein Klima von Hartz Vier, Kriegsgefahr, neoliberalem Sozialfaschismus, Freihandel und unfreiem Leben.“

Dr. Liberalitas: „Wir wollen werden, was wir 1989 waren.“

Zwischenrufer: „Dr. Liberalitas, dann seien Sie wenigstens diesmal dabei, wenn wir das Herrschaftssystem wegfegen.“

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