FEUILLETON-KULTURBETRIEBLICHES: Das zankende Dorf

FEUILLETON-KULTURBETRIEBLICHES

„Das zankende Dorf“

 Neulich stritten sich in einem Dorf der Sattler und der Schuster über den richtigen Umgang mit fremdländischen Lederwaren. Einer sagte, für gutes Leder müsse es ein Reinheitsgebot geben. Der andere meinte, auch ein Patchworkmantel könne am Ende von hervorragender Qualität sein. Die beiden Fachleute stritten sich ausgerechnet im Dorfkrug, wo einige Herren gerade die Frauen ihres Betriebes mittels einer Frauentagsfeier ehrten. Der Saal war also voller Gäste. Manche fanden, der Sattler habe recht, andere fanden, der Schuster sei es. aber dem Schuster wurde der alleinige Skandal an der Geschichte zugeordnet. Denn er hätte doch wissen müssen, dass die Position der Gemeindeverwaltung gerade darum ging, die Wirtschaftlichkeit der Kürschnerei auch unter Ausnutzung von Leistungen der Billigarbeiter zu stärken. Und was schert es schließlich den Fuchs, ob ihm das Fell für 30 Cent pro Stunde oder 8 Euro fuffzich pro Stunde über die Ohren gezogen wird. Ganz nebenbei ging es um das Thema des Meinungssagens. „Wie frei sind wir mit unseren Meinungen“ hieß es. In der Hauptsache ging es darum, dass die Anhänger vom Schuster und die vom Sattler nun ihrerseits beinahe mit den Händen und Fäusten aufeinander losgingen, mit denen sie sonst ihr Tagwerk verrichteten. Die Sattlerfraktion wollte ihrs sagen, die Schusterfraktion ihrs, und wenn die Medien keinen Skandal hätten an einem in der ganzen versalzenen Suppe schwimmenden Haar herbei ziehen können, dann wäre es am Ende eben doch nur ein Meinungsaustausch geblieben, der dem publikum erlaubt hätte, den Sattler, den Schuster oder beide doof zu finden. Das wäre immerhin eine Erkenntnis gewesen.

In Dresden sagte der Schriftsteller Uwe Tellkamp etwas Rechtes und der Schriftsteller Durs Grünbein etwas dagegen. Das entspricht insoweit dem Wesen der Meinungsäußerung. Einer sagt etwas und der andere auch. Beide Äußerungen müssen nicht übereinstimmen. Würden sie es, gäbe es ja auch keine Meinungsvielfalt. Ich betone noch mal: MeinungsVIELFALT. Beim Schuster und beim Sattler übernahmen die Fans die Weitertragung der Streitflamme.  Bei den Autoren taten es Verlage und Medien. Sie wussten nicht, ob man sich von einer Meinung distanzieren muss, wenn sie einem missfällt. Das Recht auf Meinungsäußerung beinhaltet nicht die Pflicht zur Meinungsäußerung an die Vorgaben des Grundgesetzartikels 5, Absatz 1 bis 3 zu halten:

 „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. Die Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetz, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“

Und doch möchte man irgendwie nicht, dass einem f so jemand die Verfassung als Korrekturbemühung vorhält, der es sonst mit der Verfassung nicht so genau nimmt. 1993 hielt mal ein Herr Heitmann von der CDU eine Rede, mit der er gerne Budespräsident geworden wäre. Man brauchte den gar nicht zu bekämpfen. Man musste nur abwarten, bis er sich selbst widersprechen würde. Na also bitte: man soll nicht immer gleich lauter schreien als der Skandal groß ist. Manchmal genügt ein entspanntes abwarten.

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