Gastbeitrag: Der Tod ist ein Professor aus Deutschland

Der Tod ist ein Professor aus Deutschland

Nur noch fünf Jahre lang Arbeitslosengeld? Zum Vorschlag des Bremer Hochschullehrers Gunnar Heinsohn / Ein Beitrag von Holdger Platta ©

Die Sache ist doch denkbar einfach: wenn unser Staat mit seinen höchsten RepräsentantInnen unisono sowie mit Händen und Klauen ein Wirtschaftssystem verteidigt, das unfähig ist, allen arbeitswilligen Menschen noch menschenwürdige Arbeitsplätze zu sichern und damit noch lebenssichernde Existenzmöglichkeiten, dann hat dieser Staat gemäß Grundgesetz eben die Pflicht, für sämtliche daraus sich ergebenden Folgekosten aufzukommen. Vorschläge wie die von Gunnar Heinsohn, dem vormaligen Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpädagogik (!) an der Universität Bremen, allen Arbeitslosen, Aufstockern, Sozialrentnern usw. nur noch fünf Jahre lang sogenannte Transferleistungen zu zahlen, gehen also allein deswegen schon völlig an der Sache vorbei. Aber:

Mit diesem Idiotenfehler bei der Anwendung des logischen Denkens hat dieser Herr Heinsohn nicht nur einen Argumentationsschnitzer hingelegt, der noch jedem Erstsemester der Volkswirtschaft völlig zu Recht eine Sechs eingebracht hätte. Heinsohn hat damit auch aufs deutlichste – und dieses gleich mehrfach – gegen unsere Verfassung verstoßen: gegen die Grundgesetzartikel 20 und 28 nämlich (= Definition unserer Demokratie als Sozialstaat). Und vor allem gegen den tragenden Grundgesetzartikel unserer Verfassung, gegen Artikel 1 des Grundgesetzes: gegen das unveräußerlich in unserer Verfasssung verankerte Sozialstaatsgebot schlechthin, gegen jene Menschlichkeitsgrundlage unseres Staatswesen überhaupt, das noch jedem Menschen einschränkungslos Wahrung und Schutz seiner Würde zusichert, und nicht nur dann, wenn es die Kassenlage erlaubt. Sogar das Bundesverfassungsgericht in seinem Hartz-IV-Urteil von 9. Februar des Jahres kam nicht umhin, dieses Garantiegebot des Grundgesetzartikels 1 erneut als unumstößliche Sicherungspflicht des Existenzminimums für alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik zu definieren – zum zigsten Mal im Verlauf der höchstrichterlichen Rechtsprechung in unserem Land.

Und schließlich: Heinsohns Vorschlag ist nicht mehr zu übertreffen an Menschenfeindlichkeit. Im Klartext fordert dieser Professor in FAZ und „Welt“ nichts anderes als den geplanten Völkermord, den Genozid an Millionen von Menschen in der Bundesrepublik. Sämtliche Zwangsarbeitslose, sämtliche Aufstocker, sämtliche Armutsrentner sollen Heinsohns Auffassung zufolge noch eine Gnadenfrist von fünf Jahren bekommen, dann sollen sie gefälligst krepieren. Ein halbes Jahrzehnt gönnt dieser Ex-Hochschullehrer aus Bremen den Hilfebedürftigen noch eine Almosen-Existenz, dann bitteschön Friedhof! Denn welche Lebensperspektive verbliebe diesen Menschen noch – ohne die Hilfsgelder des Staates? Nur noch der Hungertod.

Was Clement angebahnt hat mit seiner „Parasiten“-Kampagne – schon da lauerte hinter der entmenschlichenden Schädlings-Metapher, nur dürftig verborgen, der Ausrottungsfeldzug; was Müntefering mithilfe eines dreifach gefälschten Bibel-Zitates fortsetzte – „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“; was der Bekenner-Kollege Heinsohns aus Chemnitz, ein Herr Friedrich Thießen, Ordinarius dort für Investment-Banking auf einem von der Commerzbank gesponserten Lehrstuhl, schon mal auf den Regelsatz von 132 Euro herunterrechnete, auf den schleichenden Hungertod also: das bringt nun endlich dieser Herr Gunnar Heinsohn auf den Punkt. Fünf Jahre noch geben wir diesen „Schmarotzern“, dann bitte „sozialverträgliches Frühableben“, Abmarsch ins Verrecken, Wegtreten in den Hungertod!

Wo ist der Staatsanwalt, der wegen Volksverhetzung zu ermitteln beginnt? Wo die Bevölkerung, die hier aufschreit? – Ich weiß nicht mehr, was mir größeres Grauen einflößt: diesen Aufruf zum Völkermord oder dieses furchtbare, furchtbare Schweigen im Land.

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