Quergedachtes: Kein Opfervergleich, aber Tätervergleich allemal

Donnerstag, 15. April 2010

Autor: Hannes Nagel

Opfervergleich nein, Tätervergleich allemal

Vor ganz wenigen Jahren gab es mal einen Vortrag über ein historisches Ereignis. Der Vortragende Charakterkopf kam von einzelnen Szenen immer auf irgendein völlig anderes Ereignis, aber das lag an den Assoziationen, die ein Bericht über das eine Ereignis bei den Zuhörern hervorrief. Das Vorhandensein teils verstörender, teils sich anders aufdrängender Gedankenverbindungen scheint wesentlich für die Geschichte und Berichte über die Geschichte zu sein. 1985 stand ein auf das Holz gekritzelter Spruch auf einer ostberliner Kneipenklotür. Der ging so: „Mein Zweifel lässt sich schlecht verhehlen / ich seh so viele Parallellen / ich hab geprüft, gesucht und sah / es war alles schon mal da“. Es war alles schon mal da. Aber kommt auch alles mal wieder? Oder sind die Ähnlichkeiten mit der Geschichte rein zufällig? Diese Unterscheidung ist wichtig, denn sie erlaubt mörderische Systeme und mörderische politische Entwicklungen miteinander zu vergleichen. Der Vergleich sollte aus Respekt und aus Gründen der Erkenntnistiefe nicht die Opfer miteinander Vergleichen, sondern die Täter. Täter darf man allemal miteinander vergleichen, damit das Wesen von Taten und Handlungen sichtbar werde. Nichts von dem, was ist, ist neu unter der Sonne, was gestern war, kann übermorgen wieder sein, weil es heute vorbereitet wird. Jeder weiß, dass es „nichts neues unter der Sonne gibt“. Es gibt also ein Spannungsfeld zwischen zwei Polen. Einerseits wird morgen auch wieder alles so sein, wie es schon mal war, andererseits haben im April 1945 Überlebende von Konzentrationslagern geschworen, alles zu tun, damit das erlebte Grauen „niemals wieder“ auftreten könne. So, nun ist die Katze aus dem Sack. Die überlebenden Opfer von Konzentrationslagern wissen genau, was sie erlebt hatten und dürfen alles tun, damit es nicht wieder kommt. Die Täter von damals …. Ach wissen Sie, die Täter waren solche, bei denen zählte der Einzelne nichts, auch nicht der einzelne Täter, da zählte nur die Nation (aber nicht das Volk, sonst wären sie ja Volkis gewesen und keine Nazis). Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem so eine perverse Menschenverachtung kroch. Denn was schon immer war, wird auch danach wieder sein – das hatten wir schon.

Der Kabarettist Michael Lerchenberg hatte auf die geistige Brut aufmerksam gemacht, die eines Herrenmenschen faulen Schoss und weichen Eiern entkroch. Um es niemals wieder zu vergessen, worauf der Kabarettist aufmerksam machte, soll er hier noch einmal zu Wort kommen: „Alle Hartz-Vier-Empfänger sammelt er in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Stacheldraht – hamma scho moi ghabt. Dann gibt’s a Wassersuppen und einen Kanten Brot. Statt Heizkostenzuschuss gibt’s von Sarrazins Winterhilfswerk zwei Pullover, und überm Eingang steht in eisernen Lettern „Leistung muss sich wieder lohnen“. Mit „Er“ war der Mann mit faulem Schoss und weichen Eiern gemeint. In diesem Satz sahen Interessenvertreter der damaligen Opfer eine Verunglimpfung. Die oberste Interessenvertreterin heißt Charlotte Knobloch und sagte dies auch. Sie bekam einen Brief, den sie nicht beantwortete. Der Absender ist Historiker. Er bat Frau Knobloch zu verstehen, dass der Beifall zu Lerchenbergs Vergleich aus der Ähnlichkeit der damaligen Täter mit den heutigen Tätern kam – und aus dem Unbehagen darüber, was dann in diesem Land wieder möglich sein kann. Aber nicht darf, weil die Opfer von damals 1945 schworen, solches dürfe sich nie wieder ereignen. Um das zu erreichen, wollen wir Täter von heute mit Geist und Biss mit den Tätern von damals vergleichen – um die Opfer von damals zu ehren und heutige Opfer nicht zuzulassen.

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