Hannes Nagel
Apropos: Das Fernsehen ist irrelevant
Freitag, 10. Februar 2012
„Die hinkenden Medien und die flinke Gesellschaft“
Es ist ganz angenehm, wenn man mindestens ein viertel Jahr lang keinen Fernseher benutzt. Die Reizüberflutung lässt nach wie der Schmerz im Daumen, wenn man sich mit dem Hammer aus Versehen darauf geklopft hat. Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt. Wenn die schmerzende Reizüberflutung abgeklungen ist, kann man sich viel konzentrierter und gründlicher auf die Suche nach Stichworten machen, die einem dann zum Beispiel Grund für ein schönes Apropos geben. Der Nachteil ist nur: Man bekommt vom gesprochenen Wort nichts mit, denn ein Computer kann Bild, Text und Zappelgeruck, aber keinen Ton. Vielleicht ist das auch gut so, denn wenn die Werbung im Internet einen auch noch anbrüllt, wenn man aus Versehen mit dem Cursor dagegen stößt, das wäre furchtbar. Aber da gibt es ja noch Zeitungen.
Ich danke also diesmal dem „Seetang-Merkur“, der von einer offenbar neuen Redewendung in Politikerkreisen und Regierungskreisen erzählte: „Cremig bleiben“. Laut Seetang-Merkur soll Cremig bleiben von Volker Kauder stammen, der damit Aussprüche meint, die niemand so recht zu fassen bekommt, worin eben der Sinn des cremig bleibens liege. Eine cremig bleibende Sprache soll nun also die Hohe Kunst des politischen Sprachgebrauches sein.
Früher sagte man eine Zeit lang „locker bleiben“, wie in der Floskel „Lieber locker vom Hocker als hektisch übern Ecktisch“. Macnhmal sagte man auch „geschmeidig“, und das bedeutete „aalglatt“, also so glatt, dass man dem Nachfassenden aus den Händen glitt. Aber selbst „cremig bleiben“ gab es als Begriff schon 2007, zumindest findet Google Webseiten aus dem genannten Jahr mit der Formulierung „cremig bleiben“. Damals war es aber Jugendslang. Es scheint also, als hinken das Fernsehen und die anderen Medien der flinken Gesellschaft hoffnungslos abgeschlagen hinterher. Wenn das Fernsehen etwas erzählt, ist es eigentlich schon irrelevant. Solange sich keienr erinnert, kann man Irrelevantes als immer wieder Neues verkaufen. Politik kleidet sich eventuell sprachlich in die abgelegten Gewänder der Jugend, die aus ihrem ungestümen Slang entwachsen ist. Das ist schön, denn es bedeutet, wenn es stimmt, dass die Jugend über ihre Sprache die Politik beeinflussen kann. Das lässt sich vielleicht lernen, ohne Lernen geht das nicht, aber es wäre einen Versuch wert.
Und wenn man dann noch annimmt, dass in Bezug auf Aktuelles ebenfalls gilt, dass über manche Themen nur noch dumme Hühner gackern, wenn schon längst kein Hahn mehr danach kräht, dann haben wir in diesem Jahr schon wieder eine Grund zur Freude. Denn dann kann uns eigentlich nichts mehr überraschen. Oder anders gesagt: „Mein Zweifel lässt sich schlecht verhehlen / ich seh so viele Parallelen / Ich hab geprüft, gesucht und sah: / Es war alles schon mal da“. Der Spruch stand mal 1985 an einer Kneipenklotür in Ostberlin. Welch ungeahnte Schätze wären doch alle individuellen Erinnerungen. Mit dem eincremen durch seifige Sprache käme die Politik dann nicht mehr gegen uns an. Aber dann müssten unsere Gedächtnisse wie seriöse Historiker arbeiten. Ein Historiker ist schließlich auch nur ein Mensch, der sich erinnert. (Hab ich mal irgendwo gelesen)