Rezension: “Genussvoll verzichten”

Hannes Nagel

Rezension „Genussvoll verzichten“

 „Ich muss nicht von allem haben

 Es geht in einem neuen Buch ums Essen, ums Trinken und ums kulinarische Geniessen. Andere Genüsse kommen nicht vor. Essen und Trinken wird in sehr großen Mengen und von sehr vielen Anbietern mit sehr vielen Angeboten bereit gehalten. Das erschwert die Genüsse. Das größte Hemmnis des Genusses ist das Gewissen. Wenn sich das Gewissen meldet, trübt sich der Genuß ein. Das Gewissen meldet sich im Grunde immer: Feiern, wenn es andern schlecht geht, Schlemmen, wenn andere Hungern und beim Entsorgen der Reste, von denen andere noch Leben könnten. Wie lange aber schmeckt der Wein schal, wenn ihn der Anblick eines Bettlers verbittert? Und noch weiter: Wenn ein Armer billigen Wein trinkt, tut ihm dann der noch ärmere Weinbergarbeiter leid, der zwar die Reben ernet, aber dafür nicht mal den Lohn für den Wein erhält?

Der in Berlin lebende Plakatkünstler Ernst Volland hat zum Thema Genuss und Verzicht ein sehr vielschichtiges Buch geschrieben. Es heißt „Genussvoll verzichten“ und erschien justament im Verlag „Büchse der Pandora“ in Wetzlar. Die Kernfragen sind: Was kann man heutzutage mit gutem Gewissen und Genuß essen, ohne zum Nutznießer abscheulicher Praktiken der Lebensmittelindustrie zu werden? Soll man lieber billig essen, um den Geldbeutel zu schonen, und dabei in Kauf nehmen, dass der Preis für Billigfleisch Tierquälerei ist? Wann wird aus einer Ablehnung ein Verzicht? Was ist ethischer: Verzicht aus Armut oder Verzicht auf der Grundlage von Alternativenreichtum? Genießen und Verzichten sind zwei Seiten eines Luxusproblems. Man muß sich den Verzicht leisten können, um ihn dann mit Genuss zelebrieren zu können. Der Anspruch des Verzichtsgenießers ist fade im Abgang wie ein Wein, der vorne süss und hinten nach Essig schmeckt.

Seitenweise schreibt Ernst Volland mit der ihm typischen Ironie, die man auch von seinen politischen Plakaten kennt. Und dann kommt dazwischen wieder kurz voller Ernst zum Vorschein. Es gibt in dem Buch nämlich Fakten zur industriellen Lebensmittelproduktion, die man sich mühsam ergooglen könnte. Aber dann bekäme man sie lieblos auf den Bildschirm geklatscht. So aber hat man beim Lesen einen sinnlichen Kontakt zu den Genüssen und lernt zu erkennen, dass man nicht von allem haben muss.

Ernst Volland, „Genussvoll verzichten“, Verlag Büchse der Pandora, Wetzlar 2013

cover rezi genussvoll verzichten

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