Rezension: “Brechts letzte Liebe”

Hannes Nagel

Rezension „Brechts letzte Liebe“

Eine Atempause der Geschichte

 Das Schwerste an einer Biographie ist die Nähe zum Biographierten. Einerseits soll man ihm nahe genug kommen, um ihn zu verstehen – andererseits soll man möglichst die Distanz waren. In dem Buch „Brechts letzte Liebe“ hat Ditte von Arnim einen fast schelmisch zu nennenden Stil benutzt, um sowohl Brechts letzter Liebe Isot Kilian als auch Bert Brecht selbst nahe zu kommen und auf Distanz zu bleiben. Indem sie über ihre Gespräche mit Isot Kilian schreibt, fließen biographische Details über Bertolt Brecht so automatisch in den Text ein wie die unausweichliche Rückkehr des Frühlings , wenn die Erde auf ihrer Bahn im All wieder in die Nähe der Sonne kommt. Die Autorin fand für ihre Darstellung einen unglaublich sanften Sprachstil. Wo andere Autoren mit Spekulationen die Leser angegriffen hätten, stellt sie behutsame Fragen. Das klingt fast wie Brecht in dem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“, bekannt durch die Anfangszeile: „Wer baute das siebentorige Theben?“: „Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“. In dem Buch kommt der Satz vor: „Das Heute erscheint wie eine Atempause, als müsste sich die Geschichte erst einmal ausruhen von den blutigen Schlachten der letzten hundert Jahre“ (Seite 11). Eigentlich müsste doch in der Zeit der Atempause ein viel gedeihlicheres Klima für Selbstaufgabe und Uneigennützigkeit herrschen – Eigenschaften, die Isot Kilian in der Zeit der Denunziation und des Egoismus hatte und zum Beispiel für Wolfgang Borchert einsetzte. Warum wächst nichts davon? Das wäre wohl eine geschmackvolle Stoffgrundlage für Bertolt Brecht gewesen.

Fazit: Die Atempause der Geschichte nähert sich dem Ende. Brecht wird mit Erstaunen als zeitlos aktuell wahrgenommen und Isot Kilians Wesenszüge Selbstaufgabe und Uneigennützigkeit sind trotz gegenteiliger Tendenzen gefragt wie nie zuvor.

 Ditte von Arnim, „Brechts letzte Liebe“, Transit-Verlag, Berlin 2006

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