Rezension: Der Baron, die Juden und die Nazis

Hannes Nagel

Rezension „Der Baron, die Juden und die Nazis“

 „Das fremdgedachte Milieu

 Im traurigen Monat November wars. Die Tage wurden trüber. Da schickte der Hofmann und Campe Verlag ein Buch von Frau Ditfurth herüber. Es ist ein ziemlich schwieriges Buch und dazu auch noch ein Wagnis. Es macht den Ditfurthschen Stammbaum zum Kern nationalromantischen Denkens. Ein Denken, das Platz für die Juden nicht hat, doch für Nazis und Antisemiten. Wie das alles zu erklären ist, will Jutta Ditfurth berichten, und erklärt die deutsche Geschichte sodann als Beet von Familiengeschichten. Im Mittelpunkt steht der Urgrossonkel Börries von Münchhausen. Der schrieb zwischen 1897 und dem Beginn herrlicher Zeiten gemeinsam mit einem Freund, dem Zeichner und Grafiker Ephraim Moses Lilien ein Gedichtbuch mit dem Namen Juda, worinnen Balladen erschienen. Danach geschah etwas mit Münchhausen, und er wurde Antisemit. Rechtfertigt das ein Buch mit 395 Seiten? Die Frage hat vielleicht auch die Autorin umgetrieben, oder sie kennt bereits die Leser als Pappenheimer, und daher schreibt sie ganz hinten, wo die Danksagungen kommen, warum sie das Buch geschrieben hat: „Der Grund für dieses Buch liegt in der kritisch – historischen Auseinandersetzung mit dem sozialen Milieu, in das ich zufällig hineingeboren wurde. Der erste Anlass über ein Buch nachzudenken, war ein Brief Börries von Münchhausens bezüglich der Namen der Juden.“ Aufs Engste verknappt zeigt der Brief, dass der Baron vom Judenfreund ein gefährlicher Antisemit geworden war. Von hier an gehen die Lesergedanken einen anderen Weg als die Seiten der Autorin vorschreiben. Meine befassten sich plötzlich mit der Frage, wie lange Dinge wichtig sind. Wann kommt der Punkt, von dem an die Dinge keine Rolle mehr spielen? Ich habe in Bezug auf meine eigene Geschichte kürzlich Aktenmaterial von vor 28 Jahren gelesen. Alles war wieder frisch, aber es interessiert ehrlich gesagt nur mich. Wie ist es mit diesem Buch? Leute wie Ernst-Moritz-Arndt starben vor dem Holocaust („Die Gnade des frühen Tods“) Der Verfasser von „Was ist des Deutschen Vaterland?“ musste also das monströse Verbrechen nicht mehr erleben, zu welchem die Zeilen „Soweit die Deutsche Zunge klingt, und Gott im Himmel Lieder singt, das, Wackrer Deutsche, nenne Dein“. Nein. Niemand ist in der Lage, dieses monströse Verbrechen zu relativieren. Schweigen, Denken, Leiden sind die Folgen. Und jedes Wort, ob gesprochen oder gedacht, wirkt auf den Gegenstand, dem es gilt, und ändert ihn. Wenn aber Schweigen und Sprechen gleichermaßen falsch ist, was bleibt dann noch?

Das ist ein Gedanke, der sozusagen durch die Seitentür oder das Kellerfenster in das Denkgebäude hinein gelangt. Wie behandelt man diesen Gast im Haus?

Der Baron, die Juden und die Nazis“ ist im Grunde eine sehr interessante Darstellungsform. Geschichte wird auf die Geschichte einer Familie bezogen, bleibt aber keine reine Familienbiographie, sondern erklärt ihrerseits die Geschichte eines Landes als die Geschichte seiner Adelsfamilien.

Jutta Ditfurth, „Der Baron, die Juden und die Nazis“, Hofmann und Campe, Hamburg 2013

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