BEWEGUNGSMELDER: Geerbte Bücher, geerbtes Theater

FEUILLETON KULTURBETRIEBLICHES

Geerbte Bücher, geerbtes Theater

09-04-theatersondersitzung

Das mecklenburgische Kultusministerium in Schwerin will den Theatern in Mecklenburg-Vorpommern die beträchtliche Mittel streichen. Wenn das passiert, kann kein Theater mehr Chor, Orchester und Schauspiel mit dem eigenen Ensemble anbieten. Neustrelitz müsste dann in Neubrandenburg anfragen, ob Neubrandenburg mal das Orchester ausleihen könnte. Neubrandenburg würde notgedrungen vielleicht ja sagen, aber wenn in Neubrandenburg gerade La Traviata auf dem Spielplan steht und in Neustrelitz My fair Lady und es ist nur ein Orchester da, dann müssten die Spielpläne verändert werden. Auf Dauer lässt sich dann keine vernünftige Spielzeit planen. Der Förderverein Landestheater Mecklenburg und das Theaternetzwerrollek Mecklenburgische Seenplatte wollen, dass sich sich Politiker vom Landtag und aus den kommunalen Zuständigkeitsbereichen mit Alternativen zu Fusion und Schließung von Theatersparten befassen. In einer öffentlichen Theatersondersitzung am 9 April sollen sich die Stadtverordneten von Neustrelitz vor dem theaterinteressierten Publikum mit Alternativen zur Opferrolle der Kultur angesichts des profitgierigen neoliberalen Drachens befassen. Schließlich ist die Theatertradition eine stets weitervererbte kulturelle Tradition. Und das kulturelle Erbe verschleudert man nicht – auch nicht eine vorübergehende Phase neoliberaler Geistlosigkeit.

Apropos Erbe: In Neustrelitz gibt es ein modernes Antiquariat. Modernes Antiquariat ist bei Buchhändlern die Bezeichnung für einen Bücherladen, in dem gebrauchte, mehrfach gelesene, durch viele Hände und Köpfe gegangene Bücher allein deswegen zum Verkauf angeboten werden, weil Vielleser und Büchersammler sich aus Platzgründen doch eines Tages von ihren Schätzen trennen müssen – und doch ist der Zustrom groß von Lesern, die Taschenbuchausgaben und Kinderbücher aus DDR-Verlagen holen, die Weltliteraturen aus den Verlagsproduktionen der letzten 70 Jahre finden und auf diese Weise das Erbe der Literatur im stetigen Fluss halten. Bisher war das Antiquariat im Speicher ein Ein-Mann-Betrieb, was bei zehntausend Büchern und ohne Heizung nicht mit leichter Schulter gewuppt werden kann. Das Weiterleben des Antiquariats sicherte der Betreiber durch Übergabe aller Bücher und Regale an einen Verein, den Verein „Freunde des Buches“. Die Übergabe mit Saisoneröffnung war am Karsamstag 2015. Der bisherige Chef wollte an dem Abend noch ins Theater, da gab’s Don Giovanni, und wer schlich sich inkognito ins Theater, welches nicht mehr zu finanzieren er gedenkt? Der Kultusminister. Und nun muss man bloß noch erfahren, ob Don Giovanni irgendwie den Kultusminister überzeugen konnte, dass Kultur für eine gebildete freie Bürgergesellschaft eine Grundvoraussetzung ist – wie damals in der Weimarer Klassik

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