Rezension „Vermisst in Graal-Müritz“
„Farnwedel und salzige Luft“
Schwingende Farnwedel, salzige Luft, Mücken, Brummer, Bremsen und ein Hauch von Stinkmorchel erzeugen im echten Leben ein Stimmungsgemisch aus verlorener Trostlosigkeit und touristisch überlaufenem Menschengewimmel. Das sind zwei gegensätzliche Empfindungen. Regina Hartmanns Ostseekrimi „Vermisst in Graal-Müritz“ hält in seiner Konstruktion ebenfalls konsequent so eine Mischung aus Alleinsein und Gewimmel durch. Diese Konstruktion scheint Autorin, Akteuren und Lesern gleichermaßen Halt zu geben. So etwas ist selten. Mir fällt auf Anhieb kein Krimi ein, bei dem sich der Autor an ein Erzählprinzip klammmert, um nicht durch die Handlung zu stürzen, und die Akteure das gleiche Bedürfnis wie der Autor nach Halt und festem Boden unter den Füßen haben. Ich glaube fast, als Leser könnte man mit dem Krimi nichts anfangen, wenn man sich nicht an dem vorgeschlagenen Erzählprinzip festhalten könnte. Einmal ist von einem Buch die Rede, welches Die Sprache der Steine heißt, und man hat den untrüglichen Eindruck, es sei „Steine am Ostseestrand“ von Rolf Reinicke aus dem Demmler-Verlag Körkwitz gemeint. Im Laufe der Krimihandlung verschwindet ein Kind und wird demzufolge gesucht. Die Polizei sucht es zunächst in einem Küstenwald, in dem die Orientierung schwer und die Stille drückend ist. Daher wird dann wohl die Farnwedel-Assoziation kommen. Denn normaler Weise führen Wanderwege nicht durch Farngebüsch. Findet man sich also mittendrin im Farn wieder, weiss man, dass man falsch gegangen ist, aber den richtigen Weg findet man nur unter Mühen und per Zufall, wenn man Glück hat. Als die Suche nach dem Kind noch immer keinen Erfolg hat, taucht die Leiche eines Autisten auf, und zwar Stückweise. Es folgt die Beschreibung der Ermittlungsarbeit. Die Ermittlungsschritte sind sachlich konstruiert, aber die die Konstruktion der Ermittlerpersönlichkeiten wirkt unpersönlich hölzern. Das scheint ein Widerspruch zwischen Krimiidee und Krimiausführung zu sein. Es ist, als wollte die Köchin eine Soljanka mit einem Klacks saurer Sahne servieren, aber saure Sahne war nicht im Angebot, und da musste Zitrone reichen.
(Regina Hartmann, “Vermisst in Graal-Müritz”, Hinstorff, Rostock 2016)
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