ZUEIGNUNG: Störtebekers Geist und das Heilige Enterbeil

„Störtebekers Geist und das Heilige Enterbeil“

Dem Knecht Klaus Störtebeker platzte in einem unbeherrschten Moment der Kragen. Er zog dem Vogt, der ihm schikanierende Weisungen erteilte und dabei fahrlässig ohne Kopfbeckung vor dem Knecht stand, mit einem gefüllten Krug „den Scheitel nach“. Tot sank der Vogt zu Boden – Tod drohte von da an dem Knecht, wenn er der Obrigkeit zuerst in die Hände und dann in die Ketten geriete. Störtebeker zog es vor, sein Heil auf See zu suchen und wurde so zum legendenumwobenen Ostseepiraten. Fortan „plünderte er die Reichen und gab es den Armen“. Also einfach anders herum als es Pfeffersäcke, Kirche und die hanseatischen Städteoberen zum Wohl von Herzog, Kaufmannschaft und der eigenen Familienschatulle taten.

Wie aber kam der jähe Zorn zustande, der Störtebekers Handlung auslöste – und was ist daran sozialrevolutionär? Die Frage scheint auf den zweiten Blick nicht mehr ganz so müßig wie auf den ersten Blick. Manchmal steht nämlich ein Mensch, der sich geknechtet fühlt, weil er keine Arbeit hat und ihm trotzdem stets aktualisierte Angaben über seinen Besitz abverlangt werden, vor dem prüfenden Blick des Arbeitsamtes. Dort muss er sich dann gemeine schikanierende diskriminierende Nachfragen gefallen lassen. Meist werden sie als Hohn empfunden. Oft schon berichteten Zeitungen von Angriffen seitens der Arbeitslosen auf die edlen, in steter Sorge verantwortungsvoll für das Wohl der Hartz-Vierer tätigen Sachbearbeiter mit Messer, Faust oder Stuhl. Einmal vor Jahren feigte ein Arbeitsloser den Kanzler Schröder Ohr, der der Hauptinitiator der Verelendung der Massen durch Niedriglohn und Hartz-Vier ist. Und die Presse schrieb: Bislang ist unklar, was den Mann zu seiner Tat trieb. Worauf 7 Millionen arbeitslose Sachverständige bitter lachten.

Der Grund der Ohrfeige war damals schon für alle zu verstehen. Auch die Gründe aller anderen Ausraster. ebenso wie der weit verbreitete Wunsch, den Leuten im Amt die Schreibtische kurz und klein zu hacken. Womit wir beim Enterbeil wären. Der Wunsch, es einzusetzen, ist nur im kurzen Moment vor der Tat verständlich. Ist der verständliche Wunsch aber umgesetzt, kommt die Reue, denn der Wunsch war berechtigt, die Umsetzung jedoch nicht. Es gibt viele solcher Veränderungsbremsen. Der Gedanke an eine Revolution zum Beispiel ist angesichts der Zustände vollkommen verständlich. Die Durchführung aber ist angesichts der damit einhergehenden Sachbeschädigungen unverständlich. Also was nun? Revolution ja aber ohne klirrende Fenster, brechende Türen oder schepperndes Geschirr? Meist knallt es doch, und eines Tages meldet sich die Ewigkeit und spricht: „Dieses war die Lösung nicht.“

Die Ewigkeit mag ja von Dauer sein, aber dann unterliegt wohl selbst sie einem beständigen Wandel. Und dann sitzen die Revolutionäre da, schnaufen wie Sportler nach dem Kraftakt, Adrenalin dampft aus Nasen, Ohren, Poren, und langsam dämmerts: Es war ein gerechtes Empfinden, die Faust zu heben. Sie aber zustandsändernd einzusetzen war falsch.

Merke: Man kann die Folgen eines Wutentladungswunsches auch als kulturelles Lehrstück auf der Bühne durchspielen. Dann weiß man was passiert, versteht, was man machen muss, und braucht keine Gewalt anzuwenden. Kultur eben. Verstehen Sie?

Dieser Beitrag wurde unter Redaktionsmitteilungen abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.