FEULLETON-KULTURBETRIEBLICHES: Das unruhige Raubtier an der Leine

FEUILLETON-KULTURBETRIEBLICHES

 „Das unruhige Raubtier an der Leine“

 Der Staat hat Leben, Recht Gesundheit und Wohl seiner Bürger zu schützen. Er hat die Bürger deshalb auch davor zu schützen, dass zu viel Daten über sie gesammelt werden, die per se oder wenn sie ungeschützt in unbefugte Hände gelangen zum existentiellen Nachteil der Bürger ausgenutzt werden können. Insbesondere sind dies Daten aus der Privatsphäre und der Intimsphäre, die nur den einzelnen Bürger etwas angehen, ihn aber in Ruf, Ansehen und erfolgreicher Berufsausübung behindern, wenn jeder zum Beispiel weiß, welche sexuellen Praktiken Vorgesetzte, Chefs, Richter, Amtspersonen bevorzugen oder wenn in Schülerkreisen Fotos von einem Lehrer oder einer Lehrerin bei den morgendlichen Verrichtungen im Bad kursieren. Um derlei und anderen Missbrauch zu stoppen, gibt es den Datenschutz. Bürger können verlangen, zu erfahren, wer was über ihn gespeichert hat bzw. wer welche Informationen zu welchem Preis über den Bürger an jemand anderen – juristisch: „einen Dritten“, weitergeben hat.

Seit dem 25. Juni 2018 gilt europaweit die sogenannte „Datenschutzgrundverordnung“. Sie ist so ungenau formuliert, dass sich alle von der Verordnung Betroffenen fragen: Was ist der Sinn der Unverständlichkeit?

Der Sinn könnte sich aus dem Zusammenhang mit drei weiteren Bestimmungen ergben: Urheberrecht, Leistungsschutzrecht und der Anwendungspflicht von Uploadfiltern. Es ist, als zöge ein Magier einen Panther aus dem Sack und ließe das fauchende, gereizte und beunruhigte Tier an der Leine zwar, jedoch vor der dem versammelten Publikum auf und ab spazieren. Das Gesetz könnte im schlimmsten Fall einen scharfen Biss in den Hals der Meinungsfreiheit in Verbindung mit einem Ratsch der Krallen darstellen, welcher das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, hier insbesondere Artikel 5 und Artikel 20, zerreißt als wäre es eine Akte der Staatssicherheit, an deren Inhalt sich niemand je wieder erinnern soll. Nun ist es im Prinzip so, dass die Natur des Internets aus den Verbindungen besteht, die zwischen den einzelnen Seiten bestehen. Im Normalfall kann im Internet keine Seite für sich alleine bestehen. Jede hat mindestens einen Link auf eine andere Seite. Eine Seite, die nirgends hinlinkt, treibt ortlos im Nichts. Wer aber eine Informationsseite betreibt, muss ja von irgendwo seine Informationen beziehen. Die holende Seite kann von der liefernden Seite Inhalte referieren, also mit eigenen Worten wiedergeben, oder sie kommentieren, das heißt, kritisch mit dem Stoff der Wiedergabe umgehen oder einfach nur zitieren. Die Grundverordnung mit ihren angeschlossen Folgeverordnungen oder Bestimmungen kann folgendes tun: Sie kann verlangen, dass ihr vor der veröffentlichung vorgelegt wird, was veröffentlicht werden soll, und sie kann zum Teil jetzt schon Einfluss auf Formulierungen nehmen. Kein Artikel über Monsanto könnte mehr so erscheinen, wie er anhand von Rechercheergebnissen erscheinen müsste. Eventuell besteht sogar die Gefahr für kritische Umweltschützer, dass sie recht früh im Leben unter die Knollen geraten. Im Grunde lässt das derzeitige Presserecht schon zu, dass der Beschriebene in einem Artikel das Geschriebene korrigieren darf. Aber nur inhaltich-sachlich. Die Meinungsebene bleibt in einer von Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt beseelten Gesellschaft tabu.

Und nun zeigt sich, dass jeder Satz und jedes Wort auf der Grundlage der Datenschutzverordnung mittels des technischen Durchsetzungswerkzeugs „Uploadfilter“ vor dem Erscheinen am Firmament des World Wide Web auf Einwände hin überprüft und dann erst zur Veröffentlichung freigegeben werden darf. Kritiker sagen: Alle Fotomontagen, die in der guten alten Absicht der Politiksatire verändert werden, sind dann bei immens hohen Strafen oder Durchsetzung der technischen Verbreitungsunmöglichkeit von der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit ausgeschlossen. In Bezug auf die Meinungsvielfalt klingt das wirklich nach Herstellung eines Meinungsmonopols durch Reinigung des Gesagten mit den Meinungsfiltern. Aber Zensur findet nicht statt, steht im Grundgesetz. Ist das dann nicht schon doch Zensur? Der letzte Winkel, in den das Licht dieses Beitrag fallen muss, ist das Thema Leistungsschutzrecht. Es besagt, dass Suchmaschinen für die Auflistung eines Suchtreffers dessen Inhaber Geld zu zahlen haben. Wenn jemand nach einem Begriff sucht, muss die Suchmaschine dann alle Webseitenbetreiber bezahlen, deren Inhalte in Minimalform als Ergebnis angezeigt werden. Damit kann man ganz bequem selber bestimmen, was Suchende zu einem bestimmten Suchbegriff gerade nicht finden sollen, obwohl es im Internet frei verfügbar ist.

Hierzu erschienene öffentliche Informationen:

 „Umgehung des neuen Leistungsschutzrechts durch Links auf Google-suchen“, TELEPOLIS, 25. Juni 2018

 „Uploadfilter sorgen für Proteststurm über Parteigrenzen hinweg“, FAZ, Samstag 30. Juni 2018

 „weg frei, um Uploadfilter zu verhindern“, digitalcourage, NEDWSLETTER Donnerstag 5. Juli 2018

 „Überwachung im Internet:Bis das letzte Bild gescannt ist“, Süddeutsche Zeitung, Donnerstag 05.Juli 2018

 „Uploadfilter und Leistungsschutzrecht: Die dunkle Technikhörigkeit der Ahnungslosen“, Spiegel Online, Dienstag 04. Juli 2018

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