FEUILLETON-REZENSION: Lockdown 2020

Unaufgeregte Bestandsaufnahme in aufgeregter Zeit

FEUILLETON-REZENSION

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„Lockdown 2020“

Im Wiener Promedia-Verlag erschien im Oktober 2020, ungefähr beim Übergang von der ersten zur zweiten Woche, noch ein Buch zum Corona-Komplex, welches als Untertitel einen zu Beginn der Lage deutlich wahrnehmbaren Aspekt als Frage-Antwort-Erklärsystem aufgreift: „Wie ein Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern“

Wegen Corona geschlossen

Als überall Einschränkungen in der Wirtschaft und in den Arbeitswelten begründet wurden, war fast überall der erste Gedanke, dass so ein blödes Virus für manche Leute eine willkommene Ausrede darstellt. Mit „Leute“ sind meistens Betriebe ab KMU-Größe aufwärts gemeint. KMU heißt Klein-und mittelständische Unternehmen. Für die Leute, die den Betrieben Arbeitskraft und Können im Austausch gegen einen Lohn zu Arbeitsmarkte tragen. Einschränkungen für die Gesellschaft gab es in der Form von Ausgangsbesprechungen, der Anzahl der Personen, die ein Mensch kontaktieren dürfte, einer Verpflichtung zum Tragen einer OP-Maske vor dem Gesicht und Besuchsverboten in Krankenhäusern und Altersheimen. Auch in private Familienfeiern griff der Staat regulierend ein, in dem er die Anzahl der teilnehmenden Gäste reduzierend festlegte. Das führte prompt zu dem Witz, wo die Schwiegermutter vom Schwiegersohn die Mitteilung erhält: „Tut mir leid, Schwiegermutter, Du kannst leider nicht zu meiner Geburtstagsfeier kommen. Das liegt an Corona. Mit Dir wären wir einer zuviel.“ Aber auch Pleiten wegen Umsatzrückganges wurden schon auf das Virus zurück geführt. Insofern stimmt die Behauptung im Untertitel, dass das Virus benutzt wird, um die Gesellschaft zu verändern.

Das Hand-in-Hand von Politik, Medien und Wirtschaft

„Lockdown 2020“ ist ein Buch über das Zusammenwirken von Politik, Medien und Wirtschaft im der Annahme, die Gesellschaft solle auf ein ganz bestimmtes Verhalten konditioniert werden, welches sie selber aber nicht erkennen soll. Konditionieren bedeutet „abrichten“, „dressieren“. Das sind schwere Behauptungen, und sie bringen jeden Wissensdurstigen in berechtigte Rage, wenn zur Spannungssteigerung nicht Stück für Stück zu jeder behaupteten Kondition auch der zuständige Dompteur benannt wird. Darum ist es gut, dass die einzelnen Kapitel des Buches immer mehrere Beiträge enthalten, die man als Leser vergleichen kann. Sie sind in sich differenziert und durch einen roten Faden miteinander verbunden.

Zwanzig Autoren kommen in vier Kapiteln zu Wort, die jeweils drei bis sieben Beiträge enthalten. Im ersten Kapitel wird die mutmaßliche Herkunft des Virusses ausdem chinesischen Ort Wuhan behandelt. Die wichtigste Erkenntis scheint zu sein, dass wie meist bei Krankheiten eine unhygenische Nähe von Menschen und Tieren auf engem Raum das Verbreiten von Viren und deren Wirkungsentfaltung im Wirtskörper ermöglicht.

Es schließt sich die Frage an, ob und wie der hygenische Aspekt zur Absatzförderung (*)genutzt worden sein könnte. Und sei es auch nur indirekt zum Überproduktionsabbau.

(*) Hamsterkäufe von Klopapier sind damit jedenfalls nicht gemeint

Streng logisch kommt man vom straffen Markt auch gleich zum straffen Zügel für die Gesellschaft. Die straffen Zügel behandeln sechs Autoren unter der Überschrift „Staatliche Zwangsmaßnahmen und die Rolle der Medien“. Zwangsmaßnahmen bewirken immer ein Stück Gehorsamsverhalten – aber auch stille Wut, die bis zum Ausbruch gären kann. Und dann fragen sich alle Beteiligten scheinheilig, wieso der mit friedlichen Mitteln zu großen Leistungen geforderte Zirkuselefant eines Tages ausrastete. Würden sie einmal den Elefanten fragen, er würde von Qualen, Trietzereien und Reduzierung von allem Schönen trompeten.

Unaufgeregte Bestandsaufnahme in aufgeregter Zeit

Im Abschlusskomplex behandeln sieben Autoren die möglichen sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Krise und die Folgen der eingeleiteten Maßnahmen. Standard: Kontaktbeschränkung führt zu Einsamkeit, Einsamkeit führt in Altersheimen zum Tod. Immerhin zeigen die Autoren dabei keine Endzeitstimmung, sondern eine Art von Hoffnung aiuf Neuanfang im Sinne von Entwicklung, Anpassung und „Das Beste draus machen“.

In Schulen wurde ständig gelehrt, dass Entwicklung eine Anpassung an sich verändernde Bedingungen ist, und wer sich nicht anpasst, stirbt aus wie die Saurier. Wer sich aber anpasst, der überlebt wie die Kakerlaken.

„Lockdown 2020“ ist eine unaufgeregte Bestandsaufnahme von Meinungen, Wahrnehmungen und Erkenntnissen in einer aufgeregten Zeit. Wenn ein Virus benutzt wird, um eine Gesellschaft im Interesse einer neoliberalen Minderheit zu verändern, kann ein Buch wie Lockdown 2020 benutzt werden, das unheilschwangere neoliberale Treiben wirkungslos zu machen wie eine 250 Kilo Bombe aus dem zweiten Weltkrieg, die bei Bauarbeiten zu einer Kultur-und Bildungseinrichtung und einer belebten europäischen Innenstadt gefunden wird und entschärft werden muss, um keinen Schaden anzurichten.

(Hannes Hofbauer/Stefan Kraft, „Lockdown 2020“, Promedia, Wien 2020)

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