Rezension “Ein Garten am Meer”

Mittwoch, 23.Februar 2011

Rezension Ein Garten am Meer

Hannes Nagel

Vertreibung im Namen des Tourismus

Am Anfang des Romans „Ein Garten am Meer“ steht eine 60jährige Lehrerin im Regen. Sie trug, als sie jung war, den Spitznamen „Eichhörnchen“. Das hatte nichts mit ihrer jugendlichen Vorliebe für Nüsse zu tun, sondern mit ihrer Fähigkeit, auf fast jeden Baum klettern zu können.

Derartig originell werden auch die anderen Figuren der literarischen Handlung von den Lesern wahrgenommen. Es sind wohltuend kurze Kapitel, dahin erzählt wie ein lauer Frühlingswind. Die Bibliothekarin zum Beispiel empfindet „geschriebene Wörter als Dompteure, die die Raubkatzen des Alltags mit ihrer drohenden Peitsche im Schach halten“. Aber dann kommt die Tratschtante des Dorfes, bei der der Geist so leer ist wie das Portemonnaie voll, und die berichtet Unheilvolles: Ein Immobilienfuzzi ist am Wirken, der zahlt Höchstpreise und kauft alles auf. Die bisherigen Eigentümer von Grundstücken und Häusern müssen dann ihr schönes Küstenpraradies in der Bretagne, also Frankreich, verlassen – bloss weil mal wieder jemand das Geld für sich denken lässt. Wenn einer sein Haus verkaufen will oder muss, dann fühlen sich die Nachbarn betroffen. Am liebsten würden sie mit entscheiden, wer das Haus erwirbt, weil der ja dann der neue Nachbar sein wird, auf unabsehbar lange Zeit. Folgerichtig trifft sich das Dorf beim Bürgermeister, der wiederum voll in die Pläne der Immobilienfuzzi involviert ist, und nun wird der Roman eine Satire: Die Stühle reichen nicht für alle, darum werden noch ein paar Klappstühle aus einem Lagerraum geholt und „wie für die Vorstellung eines Amateurtheaters im Halbkreis aufgestgellt“. Der Bürgermeister als Impressario des Amateurtheaters hält nun die überall gleiche Rede von der wirtschschaftlichen Entwicklung im Allgemeinen und dem Wachstum der Gemeinde, wobei ja auch die neuen Arbeitsplätze nicht vergessen werden dürfen – bis dahin ist noch kein einziges Wort darüber gefallen, was die Fuzzies denn nun eigentlich wollen und was für Arbeitsplätze entstehen sollen. Und dann ist es ausgerechnet ein Deutscher, der gegen die Grundstücksschieberei die Resistance ansagt. Eigentlich besitzt er nur eine Wiese mit Geräteschuppen, aber er kündigt an, den Schuppen bewohnbar machen zu wollen. Er hat offenbar ostpreussische Wurzeln, denn er erinnert sich an Flucht und Vertreibung. Die Erinnerung überträgt er als Parallele auf die geplante Vertreibung der Bewohner zugunsten eines Freizeitparkes. Es ist wohl so: Alles, was geschieht, ist immer das Gleiche, nur das Aussehen der Geschehnisse ändert sich. (Dann ist „Geschichte“ so etwas wie eine retrospektive Modenschau). Und dann geht es los. Hier der Wunsch nach Freiheit, dort die Einhaltung der Gesetze, eine Konstellation wie bei Götz von Berlichingen. Sinngemäss steht da auf einer Seite der Wunsch nach Freiheit, auf der anderen die Unantastbarkeit der Gesetze. Auch wenn deren Unantastbarkeit bedeutet, dass die Freiheit der Bewohner antastbar ist. Wie mit der Menschenwürde, nicha? Fühlen Sie sich auch gleich dran erinnert.

Ein Garten am Meer“, Roman, Hoffmann und Campe (www.hoca.de), Hamburg 2011

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