Meinung und Kommentar
Sonntag, 25. Oktober 2009
Autor: Hannes Nagel
Einmal wollte ein Jurist, der meinte, etwas zu sagen zu haben, den Ausdruck „Hartz-Vier-Opfer“ verbieten. Er sagte, die Formulierung sei falsch. Das Gegenteil von „falsch“ aber sei „wahr“, und wahr sei, dass Menschen, die Hartz Vier bekommen, Mitbürger seien. Der seiner sozialen Verantwortung gerecht werdende Staat zahle ihnen Geld, damit auch sie, die so unproduktiv und verantwortungslos mitten unter uns leben, zum Nulltarif am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. „Obwohl wir Steuerzahler eigentlich gar nicht wissen, wofür wir ihnen überhaupt den Lebensstandard finanzieren“. Darum seien die Opfer keine Opfer. Opfer seien, wenn man schon von Opfern rede, die Steuerzahler. Eine Entgegnung kitzelte bereits auf der Zunge, winkte aber selbst ab und beschloss, Eingang in eine publizistische Würdigung zu finden. Justiz und Kommunikation – also bitte, sagen Sie selbst. Justiz kann ja so verschroben sein.
Bleibt also die publizistische Würdigung. Wenn der Wortschatz groß genug ist, kann man vielleicht dem Wunsch des Herrn Justizfacharbeiters entsprechen und die Wahrheit, dass Menschen mit einem zum Leben zu kleinen und zum Sterben zu großen Almosen namens ALG II Opfer einer an Zwangssklaverei erinnernden Sozial-und Arbeitsmarktpolitik sind, also Hartz-Vier-Opfer, auch in andere Worte kleiden kann. Die Wahrheit bleibt erkennbar, ob sie nun in Jogginghosen herumläuft oder im edlen Zwirn einer Nobelschneiderei. „Setz Dir Perücken auf mit Millionen Locken, stell Deinen Fuß auf ellenhohe Socken, Du bleibst doch immer, was Du bist“. (Das steht bei Goethe)
Beim „Kleiderwechsel aus Rücksichtnahme“ auf das Empfinden Anderer muss man allerdings eine wichtige Angelegenheit beachten: Euphemismen sind auch Sprachkleider. Sie werden bevorzugt von der Politik benutzt, um Absichten in den Falten, Taschen, Kragen und aufgenähten Extras zu verstecken. Und manchmal ist die Jogginghose einfach ehrlicher als der Maßanzug.