Parallelen: Ein Gedicht und eine Petition

Dienstag 08. November 2010

Vom Anhören und vom Zuhören

Autor: Hannes Nagel

1844 und davor war Armut in Deutschland riesig, und niemand erbarmte sich der Leidenden. Da kam der Dichter Georg Weerth auf die Idee, der König könne sich ja gar nicht erbarmen, weil er vom Elend vielleicht nichts wisse, und da schrieb er ein Gedicht, das sollte der König sich mal anhören:

Verehrter Herr König,/kennst Du die Geschicht?/ Am Montag aßen wir wenig/und am Dienstag aßen wir nicht/Und am Mittwoch mußten wir darben/und am Donnerstag litten wirNot/und ach, am Freitag starben/wir fast den Hungertod/Drum laß uns am Samstag backen/das Brot, fein säuberlich/sonst werden wir Sonntag packen/und fressen, Oh König, Dich“

Der König hörte nicht zu. Das hing auch damit zusammen, dass die Nachricht nicht gedruckt wurde und also publizistisch verpuffte. Etwas mehr Glück hatte Dichterkollege Heinrich Heine, der derselben Thematik ein Gedicht über die schlesischen Weber widmete:

Im düstern Auge keine Träne, sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne, Deutschland, wir weben Dein Leichentuch, wir weben, wir weben“.

Das Gedicht stand in voller Länge im „Vorwärts“, der Zeitung der Sozialdemokratie, die niemals zurück blickte.

2010 ist die Lage der Hartz-Vier-Opfer in Deutschland existenziell nicht ganz so schlimm wie 1844, aber ebenso menschenmißachtend. Schon in der Frühzeit der Hartz-Vier-Phase des ersten deutschen Staates, der der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet ist, kamen besonnene Leute auf den Gedanken, Sozialausgaben dadurch wieder erschwinglich zu machen, dass man ein bedingungsloses Grundeinkommen einführt, welches jeden Bürger befähigt, Miete, Krankenkasse, Bildung und Kultur aus eigner Kraft zu tragen und dann, noch was dazu zu verdienen, „für ein bisschen was extra“. Das wollten die Herrschenden wiede mal nicht hören. Bis eine Frau aus Mecklenburg-Vorpommern erst die Schnauze voll hatte und sie dann ganz weit öffnete. Nämlich für eine Petition an den Bundestag zu trommeln.

Im Wortlaut: Unser Finanz- und Steuersystem ist sehr unübersichtlich geworden. Auch die Arbeitslosenquote scheint eine feste Größe geworden sein. Um nun allen Bürgern ein würdevolles Leben zu gewährleisten, erscheint mir die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als guter Lösungsweg. Ca. 1500€ für jeden Erwachsenen und 1000€ für jedes Kind. Alle bestehenden Transferleistungen, Subventionen und Steuern einstellen und als einzige(!) Steuer eine hohe Konsumsteuer einführen. Eine deutliche Vereinfachung unseres komplizierten Finanzsystems erscheint mir zwingend erforderlich. Auch ginge mit dieser Veränderung ein deutlicher Bürokratieabbau, und damit eine Verwaltungskostenreduzierung, einher.

Was Weerth und Heine nicht gelang, gelang Susanne Wiest. Am 8. November hörte sich der Petitionsausschuss des Bundestages an, was das Volk der Regierung mal zu sagen hat. Aber ach, nur eine Zeitung berichtete. Es war die Ostseezeitung, die der regionalen Chronistenpflicht nachkam, über Vorgänge aus dem Land zu berichten. Und sogar ganzseitig. Donnerwetter.

Das übrige Schweigen und die Reaktionen der Parteien lehren, dass es allem politischen Fatalismus zum Trotz doch möglich ist, die Regierung zum Anhören von Wünschen, Forderungen und Anliegen zu bewegen. Es zeigt aber auch, dass der Weg vom Anhören zum Zuhören weit ist und der Weg vom Zuhören zum Verstehen und Handeln auch. Aber jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt.

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