Fernsehen: Heute was Ostiges

Bücher und Filme von gestern machen im Idealfall den Zeitgeist eines abgeschlossenen Kapitels Leben wieder lebendig. Sie sind kulturelle Zeitzeugen. Schaut man sich heute die damaligen Folgen von Polizeiruf 110 des DDR-Fernsehens an, hat man vorzügliches soziologisches Quellenmaterial. Das gilt auch für viele andre Filme aus der DDR. Wie gut, dass es im MDR öfter mal was Ostiges gibt.

Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Die Rockmusik des Ostens hielten viele für billige Kopierversuche westlicher Vorbilder, bevor man den eigentlichen Wert und Charme zu schätzen lernte. Den „Bullenruf“ sah man hauptsächlich, um eigene Erfahrungen mit der Polizei und die Darstellung der Poliziearbeit im Film zu vergleichen. Meistens aber benörgelten die Zuschauer, dass im Film jede Wohnung mit einem Telefon ausgestattet war, was der realen Lebenserfahrung völlig widersprach.
Den größten Genuss hält jedoch der Sprachgebrauch bereit. Die Sprechweise in den ostigen Filmen erscheint als eine Sprache zwischen Ost und West – von der DDR gelöst, auf die Wellenlänge der westlichen Sprachmelodie nicht aufgesprungen. Die Melodie der ostdeutschen Umgangssprache ist etwas Eigenständiges. Aus offiziellen Sprachregelungen entstand etwas Zwischenzeiliges, welches zuerst vorsichtig war, und dann etwas Unbekümmertes und Fröhliches. Erst sang man zum Beispiel „Auf der Maiuer, auf der Lauer, liegt ne kleine Wanze“, bis einem dann einfiel, dass es ja gar nicht Mauer heißt, sondern Antifaschistischer Schutzwall. „Auf dem antifaschistischen Schutzwall liegt  ein Abhörgerät“, hieß es dann in der auf diese alberne Weise entstandenen Liedversion. Die Sprache Ostdeutsch-Zwischenzeilig kommt mit einem Schlagzeug-Einzelton auf den Punkt. die westliche Sprachmelodie fasert zum Satzende hin aus wie das Mündungsdelta eines Flusses. Im Vergleich mit Ostdeutsch-Zwischenzeilig ist die westliche Sprachmelodie unverbindlich und für die Orientierung im Dickicht von Absicht, Interesse und Ausdruck ungeeignet.
Daher ist es so schön, sich diese ollen Ostfilme noch mal nur mit Konzentration  auf den Sprachgebrauch anzusehen. Betrug gab es imm Osten auch, und Unehrlichkeit, aber die sprachlichen Tarnanzüge von Unehrlichkeit und Betrug waren einfacher zu erkennen als heute.
Auf Ostdeutsch-Zwischenzeilig  musste man nur einige sprachliche Vorgaben wörtlich nehmen, und man konnte nach oben hin die Klappe aufreißen. Damit erzielte man eine Wirkung, als ob Rolf Herricht Hans Joachim Preil zur Weißglut triebe. Aber die Bürger spielten das nicht nur. Die Wirkung ließ sich sogar bei der Armee gegen irgendwelche Oberwebfehler, Pardon, Oberfeldwebel, oder Leutnänte erzielen.

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