Rezension: Tango – Wehmut, die man tanzen kann

Dienstag, 28.12.2010

Rezension Tango – Wehmut, die man tanzen kann

Hannes Nagel

Tango, Miezen, kesse Sohlen

Hier geht es um ein Buch, welches wie sein Thema aus Argentinien stammt, genauer gesagt, aus Buenos Aires, der Stadt, wo jeder eine gepflegte Neurose haben soll. In Argentinien erschien es schon 1999, erst jetzt, elf Jahre später, nach unzähligen durchtanzten Sohlen und bitterer Leidenschaft, gibt es das Buch auf Deutsch, wofür Elke Heidenreich und dem Bertelsmann Verlag zu danken ist.

Der Autor des Buches ist der führende Tangospezialist der ganzen Welt und heisst Horatio Salas. Er braucht für eine vollständige Sozialgeschichte des wohl alle Schichten durchdringenden Tanzes nur wenige Worte auf 180 Seiten. Der Tango ist eigentlich eine echte Volksbewegung. Sprachlich braucht man sich nicht zu verstehen, wenn zum Tango getrommelt, geflötet, gepfiffen und gegeigt wird, dann spricht die Musik die Menschen an wie das Klassenbewusstsein die revolutionären Arbeiter. Nur das Tango ästhetischer, erotischer und sinnlicher ist.

Auf die wenigen Worte pro Seite kommen reichhaltige Illustrationen, die Horatio Santana vorgenommen hat. Was heisst Illustrationen? Comiczeichnungen sind es, schwarz-weiund mit Sprechblasen über den Häuptern der Personen. Ich traue mich kaum es zu gestehen: Endlich mal ein Buch, welches man nicht angestrengt lesen muss. Endlich mal eins, wo die Bilder wichtiger sind als der Text und der Text den Leser nicht zu groer Konzentration zwingt. Es ist eben ein Buch über einen Tanz, der für alle Schichten geeignet ist. Wer nie Lust auf Tango hatte, nach diesem Buch hat er sie. Wer schon immer Lust auf Tango hatte, nach diesem Buch ist die Lust unerträglich und Sehnsucht im Herzen so weit wie das Land. Wer nur noch nicht die Gelegenheit hatte, sich von erfahrenen Tangopartnern die die Steifigkeit aus dem Bewegungsapparat führen zu lassen, kann dieses Buch schon mal als Trockenübung für kommende Eleganz ansehen. Verruchte Eleganz. Denn von Anfang an haftet dem Tango seine Herkunft aus dem Bordell an. Das verlockt und törnt ab, je nach Prüdigkeit. Völlig grundlos eigentlich, denn „im Bordell geht es nicht nur um Sex. Es ist auch ein geselliger Ort, ein Zuhause der Einsamen. Man unterhält sich und trinkt“. Die gesellige Stimmung kann aber auch umkippen: „Ich töte keine Fremden. Wie heisst Du?“, fragt einer, bevor ihm das Klappmesser aufgeht. Man fühlt sich beim Genuss des Buches wie der unbeleckte Leser, der große weite Welt atmet. Könnte man Zeitreisen machen, würde das Buch ein idealer Kneipen-und Bordellführer durch Buenos Aires sein. Straßennamen, Hausnummern und Namen der Etablissements samt Kurzkritik stellt es vor. Am Schluss des Buches gibt es noch Tanzschritte, Figuren und Liedtextbeispiele. Einfach schön. Und nun habe ich Lust, einen geselligen Abend zu verbringen.

“Tango – Wehmut die man tanzen kann”, 19 Euro 95,

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