Rezension: Die Wolf-Nachrufe

Dienstag, 06. Dezember 2011

Rezension „Die Wolf-Nachrufe“

Hannes Nagel

Christa Wolf ging nicht unbemerkt

Anfang Dezember starb die DDR-Schriftstellerin Christa Wolf. Ihre hinterlassenen Spuren sehen in der Beschreibung durch verschiedene Medien wie ein Lexikoneintrag aus, die einer vom anderen abgeschrieben hat oder nacherzählt hat.

Der Tod der Schriftstellerin ist für einen Leser ein merkwürdiges Ereignis. Dabei kannten sich Leser und Autorin nur über einige Bücher und nicht einmal über alle Bücher. Irgendwann war es so, dass das Stichwort „Christa Wolf“ lediglich „Ach ja“ beim Leser hervorrief. Das war, als es still zu werden schien. Nun schämt sich der Leser fast, die Bücher nicht zu Lebzeiten der Autorin schon gelesen zu haben – oder wenigstens gründlich nachgedacht zu haben.

Die Feuilletons von Süddeutsche Zeitung (online), FAZ, Ostseezeitung sowie Stern und Spiegel Online waren sich in ihren Nachrufen einig, Christa Wolf sei eine unbequeme Kritikerin des Sozialismus gewesen, die dennoch mit heißem Herzen von der Alternative zum Kapitalismus geprägt war. Westdeutschland lobte ihre Kritik am Sozialismus, Ostdeutschland ihr gesellschaftliches Engagement für den Sozialismus. Mir scheint, der Unterschied zwischen BRD und DDR bestand darin: Der Westen hatte eine Wirtschaftsordnung, aber keine Gesellschaftsordnung, und der Osten hatte eine Gesellschaftsordnung, aber keine Wirtschaftsordnung. Aber eigentlich konnte man auch sagen: Im Westen herrscht die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, im Osten ist es umgekehrt. In Christa Wolfs Büchern suchte man gerne nach Kritik, weil man sich so toll vorkam, wenn man kritisieren konnte. Es war irgendwie so ähnlich wie die Suche nach „Stellen“ in erotischer Literatur.

N-TV bescheinigte Christa Wolf, dass sie „kritisch, selbstkritisch mit tiefem moralischem Ernst“ war. Im nächsten Satz nannte N-TV sie „Staatsschriftstellerin“ und „Nobelpreiskandidatin“. Die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Sie kritisierte zunehmend das DDR-System“. Das ist ein Satz wie aus einem Schülerzeugnis: „Sie arbeitete zielstrebig an der Beseitigung ihrer Fehler“. Der Stern befand, die Worte „moralische Instanz“, „SED-Mitglied“, Nobelpreisanwärterin“ und auch das unvermeidliche „Stasi-Mitarbeiterin“ benutzen zu müssen – pffft. Die FAZ benutzte einen Stil wie ein Lexikon. Sie brachte damit einen Text Zustande, der wie ein Schülerreferat über „Leben und Werk der Autorin Christa Wolf“ aussieht.

Und wenn es nicht zu lange dauert, kann aus einer Deutschstunde mit Pflichtlektüre Spaß an der Literatur entstehen. Und dann sind publizistische Spuren bleibende Spuren.

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