Ach noch etwas: Eile geboten – Leben läuft ab

Mittwoch14. Dezember 2011

Autor: Hannes Nagel

Eile geboten – Leben läuft ab

Die Fraktion der Linken im Bundestag hatte in einer Großen Anfrage an die Regierung wissen wollen, wie es um die Renten in Deutschland bestellt ist. Sie erhielt darauf hin eine Statistik der Deutschen Rentenversicherung und begann zu lesen. Sie lasen auch zwischen den Zahlen, und zwischen den nüchternen und gefühllosen Zahlen stand ein Skandal: Die Lebenserwartung von Geringverdienern ist deutlich niedriger als bei Leuten, deren Einkommen für einen Arztbesuch, eine gesunde Ernährung und eine warme Wohnung reicht. Direkt steht das nicht so darin. Aber so wird es sichtbar, wenn man die Länge der Rentenbezugszeiten betrachtet. Wer eher stirbt, erhält nur kürzere Zeit Rente (falls überhaupt), und die kürzesten Rentenbezugszeiten gibt es bei Menschen, die mit Niedrigstlöhnen abgespeist werden. Das darf man reinen Herzens als Skandal bezeichnen. Aber dann will man auch wissen, was die Linken nun mit der Antwort auf ihre Frage anstellen werden, denn solch eine Sache darf ja nicht im Raume stehen bleiben. Noch diese Woche, teilte die Fraktion auf Anfrage mit, werden die Linken in einer Debatte des Bundestages die Ergebnisse der Anfrage vorstellen und Regierungleuten die Möglichkeit zu einer Stellungnahme einräumen.

Die Stellungnahmen werden wohl weniger sensationell ausfallen als der Skandal groß ist. Wahrscheinlich werden sie mehr oder weniger rhetorisch geschickt alle Verantwortung von sich weisen. Das Wort Schuld wird wohl nicht fallen, jedenfalls nicht in Bezug auf die Verantwortlichen. Denn die Verzwicktheit der sozialen Lage der armen Menschen in Deutschland lässt zwei Deutungen zu: Sie sterben früher, weil Alkohol und Nikotin konsumieren und ungesund leben. Das sie einfach nur menschenwürdiges Einkommen brauchen, um nicht zu Alkohol und Nikotin zu greifen, hat bisher noch nicht mal die Bundesagentur für Arbeit eingesehen. Und das reiche Raucher länger leben kann auch damit zusammenhängen, dass sie bessere Möglichkeiten haben, gesundheitliche Schäden auszugleichen. Inklusive Reha.

Ganz gleich, wie man Schuld und Verantwortung zuteilen will: Im Namen der Menschlichkeit sollte die Debatte möglichst schnell zu einer Angleichung der Lebenschancen aller Mitglieder der Gesellschaft führen. Denn bei den Schwächsten wird die Lebenszeit knapp.

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