Rezension: Kiki de Montparnasse

 Eine Zeit lang war es modern, Fernsehfilme mit einem sehr langen Vorspann auszustatten. Jeder Akteur, jede Actrice wurden mit ihrem Namen und dem Namen der von ihnen gespielten Figur vorgestellt. Damit das Auge nicht schon beim Vorspann ermüdet und das Herz schon mal auf die kommende Freude beim Hauptfilm eingestimmt würden, ließen gewiefte Animationskünstler Trickfilmfiguren der Schauspieler in typischen Szenen auftreten. Luis de Funes zum Beispiel wäre immer mit dem Holzkopf gegen die Buchstaben gerannt und hätte sie gehörig durcheinander gewirbelt. Heute bekam ich ein Buch in die Hände, welches mich an diese längst vergangenen Filmzeiten erinnerte, als Fernsehen noch Freude machen konnte.

Dabei ist dieses Buch eine Biographie. Das Ungewöhnliche daran ist, dass das Leben der biographierten Dame als Comic-Zeichnung erzählt wird. Filmszenen mit Sprechblasen eines Lebens, welches von 1901 bis 1953 ging und also viel zu kurz war. Mit 52 ist eine Dame doch noch eine junge Frau. Das schöne an Zeichnungen im Vergleich zu Texten ist, dass sie nicht moralisch werten können. Szenische Zeichnungen können wirklich nur erzählen. Und wenn man nicht weiß, wessen Leben erzählt wird, ist man einfach darauf angewiesen, sich erzählen zu lassen, was einem Menschen in seinem 52 Jahre kurzen Leben passierte. Gut, in wörtlicher Rede und durch die Verwendung von Namen, Zeitgenossen, Berühmtheiten ahnt man vielleicht schon, wer den Mut zu Leben aufbrachte. Nach 375 Seiten lüftet sich der Schleier der Dame, deren Leben nun Wertung und Einordnung in Kultur und Zeitgeschehen erfährt. Dies allerdings wie ein tabellarischer Lebenslauf oder eine kurze Geschichtszusammenfassung, in der links eine Jahreszahl steht oder ein komplettes Datum und damit Ereignisse, in die die biographierte Dame einbezogen war. Die Dame: Alice Ernstine Prin („Sagt mir nischt“), geboren am 2. Oktober 1901, gestorben 23. März 1953, beides in Frankreich, und bekannt unter dem Künstler-bzw. Musennamen Kiki de Montparnasse („Ah, klingt schon mal gut“). Muse von Malern, Fotografen war sie und soll charismatisch und geistreich gewesen sein. Wissen Sie, was der Geist einer Muse ist? Zeitgeist. Denn sie leben, was andere mühselig auszudrücken versuchen.

Hand aufs Herz: Hätten Sie es gewusst? Ich habe das Buch auch nur gefunden, weil ich für das neue Jahr wieder viele neue Titel suchte und dabei verschiedene Verlagskataloge durchstöberte. Erst sah ich nur das Coverbild – das alleine schon wollte ich gerne rezensieren, weil es die Fantasie beschwingt. Meine jedenfalls. Und dann hab ich das Buch gekauft: 36 Euro kostet es, erschien im Carlsen-Verlag, Hamburg 2011.

Man müsste viele Kavaliere bitten, dieses Buch ihren Herzdamen zu schenken, um sie entweder zu befreien oder darin zu bestätigen, den Mut zur Muse zu haben.

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