Rezension: “Total bedient”

 Hannes Nagel

Rezension „Total bedient“

Freitag, 09. März 2012

„Teller schubsen, Laken zupfen, und immer dabei lächeln“

 Wenn einer Arbeit hat, gilt er als Glückspilz. Dabei geht es gar nicht um die Arbeit, sondern um das Einkommen, welches mit der Arbeit erzielt wird. Wer Arbeit im Sinne eines Arbeitsvertrages hat, sieht die Schwere der eigenen Arbeit und manchmal nicht die Schwere der anderen Arbeiten. Sehen Sie beim Friseur, ob die Arbeit schwer ist? Sehen Sie die Schwere der Arbeit auch bei Kellnern, Verkäufern, Sprechstundenhilfen, Tagelöhnern? Nein, meistens nicht. Und warum nicht? Weil Kunden meist nur angelerntes Lächeln sehen. Ist doch so. Manchmal ist einem wirklich nicht nach Lächeln zumute, muss aber wenigstens eins andeuten, damit die Kunden sich nicht beschweren. Merkwürdiger weise stimmt die Anzahl der Klagen über Arbeitsverhältnisse gar nicht mit der Anzahl der Sachbücher oder Studien überein, die über Arbeitswelten und moderne Arbeitsverhältnisse geschrieben wurden. Von Günter Walraffs Undercover-Recherchen abgesehen, sind es nur zwei Branchen, aus denen Arbeitende über die Arbeitsbedingungen gesprochen und geschrieben haben. Das sind Pflegedienst und Gastronomie. Was aber ist mit Zeitarbeit, Leiharbeit, Bürgerarbeit? Chefberichte und amtliche Auswertungen haben ja wohl keinerlei Aussagekraft darüber, was die Arbeit mit den Menschen macht. Nicht mal dann, wenn die kleinen Leute gnädigerweise den Amtsberichten mit dem pseudosoziologischen Touch auf Anordnung den spontanen Satz hinzufügen dürfen: „Ich freue mich, in diesem Unternehmen Arbeit gefunden zu haben.“ Das Schöne an dem Buch “Total bedient”von Anna K ist der erfrischend schnoddrige Tonfall, mit dem sie zum Beispiel berichtet, wie die Arbeitskräfte eines Hotels ihre Küchenschicht benutzten, um einem gegenüberliegenden Geldtempel die Fensterscheiben mit Eiern und Tomaten zu gestalten. Ist doch eigentlich viel besser, dem Kapitalismus ein Ei ans Fenster zu werfen, als für eine Lohnerhöhung zu streiken, die ohnehin nie umgesetzt wird.

In Hotel und Gastronomie soll ja der Kunde König sein. Ich habe den Grund noch nie verstanden, weil die praktische Einhaltung des Grundsatzes bedeutet, sich selbst erstens zu erniedrigen, sich zweitens duldend erniedrigen zu lassen und drittens am Tritt in den Hintern der Menschenwürde tatkräftig mitzuwirken. Ich finde es schön, wenn da einer couragiert sagt: „Nein, Sire“. Auch solche Beispiele kommen in dem Buch von Anna K vor, für weitere Einzelheiten denken Sie bitte „Schlagfertigkeit“. Komisch, man fragt sich beim Lesen: Ist eine schlechte Arbeit immer noch besser als gar keine? Oder ist eine Arbeit, bei der und über die man noch lachen kann, gar nicht so schlecht? Schlecht ist eigentlich nur, wenn man jahrelang für seine Arbeit kein Einkommen erhält. Wer Einkommen hat, verkauft einen Teil von sich, damit seine restlichen Teile von dem Einkommen leben können. Selbständige, die nichts bekommen, können nicht einmal Teile von sich am Leben halten. So relativ ist das mit den Arbeitsverhältnissen und den Lohnbezügen und dem Einkommen. So gesehen gelingt es der Autorin und ihren schreibenden Helfern eine ausgewogene und differenzierte Beschreibung der Arbeit. Es ist also gar nicht nötig, solche Themen immer im Schwarz eines klagenden Gejammers oder im grellen Weiß einer unerbittlichen Anklage darzustellen. Denn was kann schon passieren? Sie können einem Arbeit, Gesundheit, Einkommen nehmen – aber an den Optimismus und die Lebensfreude kommen sie nicht ran, trotz alledem.

 Anna K., „Total bedient“, Hofmann und Campe, Hamburg 2012

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