Hannes Nagel
Rezension „Inside Occupy“
Sonntag, 27. Mai 2012
„Occupy: Anatomie einer sozialen Bewegung“
Niemand kann es übersehen; fast alle erleben es täglich oder gar stündlich: In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gibt es Verwerfungen, wie ein Bagger, der unter sich den Sand wegbuddelt, auf dem er steht.
Beseitigt wird, was Gewerkschaften und Arbeiterparteien der Alten Tage an sozialen Annehmlichkeiten für die Massen bewirkt hatten. Aus der Kraft der geistigen und körperlichen Maloche der Massen ist der Reichtum und der Wohlstand von Nationen enstanden. Alle hochentwickelten Länder haben zwei gesellschaftliche Nationen: Die Reichen und die Armen, auch benennbar als die Nutznießer und die Sklaven. Das hat viel schöner schon Benjamin D. Israeli beschrieben. „Sybill or The Two Nations“ heisst das Buch aus dem Jahre 1845. Behalten wir es im Hinterkopf und wenden wir uns einem blutjungen Autor der Gegenwart zu: David Graeber, Jahrgang 1961. David Graeber trat schon im Flugblatt Nummer 33 vom 1. Dezember 2011 auf („Schulden wegwischen“). Das neue Buch von David Graeber heißt Inside Occupy und ist die Anatomie einer sozialen Bewegung. Im Klappentext des CAMPUS-Verlages wird Graebner als Anarchist und Professor vorgestellt. Irgendwer trug an ihn die Bitte heran, sich mit Occupy zu befassen. Was wollen die, was können die, was glauben die, wer sie sind? So entstand das Buch. Occupy ist die soziale Bewegung mit der Maske vor dem Gesicht. Occupy ist unfassbar und nicht zu fassen, finden Sympathisanten. Das sind die, die zu Zeiten von Robin Hood, Klaus Störtebeker, Zorro und Rübezahl an langen Winterabenden Geschichten erzählten und ihre Helden mit Legenden umrankten. Das leichtsprachig erzählte Buch enthält kluge Gedanken zum Thema „Demokratie“. So kluge Gedanken erfrischen jede dröge Abhandlung über Verfassungen, Staaten und die üblichen Warnungen demokratischer Parteien vor einander, wenn die Wähler ihre Kreuzchen an falscher Stelle machen. Innen ist noch ein kleines Beilageheftchen mit einem Glossar. Denn die Bewegung hat ihren eigenen Sprachgebrauch inklusive eigene Handzeichen – Signale oder Gesten, die man wie eine Fremdsprache lernen muss, um zu verstehen, was Occupy will. Nämlich direkte Demokratie, auch Basisdemokratie genannt. Die Begriffe interpretiert jeder anders. Sympathisanten interpretieren sie als gute Idee, Konservative als Gefahr, Wissenschaftler als dummes Zeug und Journalisten plappern Angelerntes aus der Bundeszentrale für Politische Bildung nach. Man soll aber nicht Fakten mit der Interpretation von Fakten verwechseln. Am Ende hält Graeber Occupy erst für den Anfang von Etwas. Für manche ist das eine Drohung. Für Viele ist es eine Hoffnung.
David Graeber, “Inside Occupy”, CAMPUS-Verlag, Frankfurt 2012, etwa 14,99 Euro