Hannes Nagel
Rezension „Der hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“
Montag 03. September 2012
„Schwedenreden“
Alter Schwede, das ist endlich mal wieder ein Buch so ganz nach meinem Geschmack. „Der 100jährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist ganz große Erzählkunst. Es zu rezensieren ist schwer, denn obwohl ich die Lektüre beendet habe, muss ich immer noch lachen und schmunzeln, feixen und grinsen, und manchmal so aus voller Kehle lachen, dass draußen vor dem Fenstger die Dohlen besorgt zu mir herauf blicken. Ich spekuliere daher erst einmal ein bisschen über die Entstehung dieses Buches. Es muss in einer kalten dunklen nordschwedischen Winternacht entstanden sein. Fünf Leute saßen in der Küche zusammen und kämpften tapfer gegen Depri-Stimmung und Übellaunigkeit. Weil sie zwar Schweden waren, aber trotzdem nicht nur Alkohol trinken konnten, kamen sie auf die Idee, eine Geschichte zu schreiben. Dazu spielten sie ein Gesellschaftsspiel. Jeder mußte eine möglichst absurde Situation erfinden und den anderen erzählen. Der zweite musste von dieser Situation ausgehend eine noch viel absurdere Situation erfinden, die möglichst in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Ausgangssituation stehen durfte. Der dritte musste die Absurdität noch einmal steigern und der vierte musste sie auf die Spitze treiben. Dabei durfte keine Situation mit keiner der voran gegangenen Situationen in einem erkennbaren Zusammenhang stehen. Insoweit ist das ja alles wie im echten Leben, wenn zum Beispiel eine Reisegruppe zusammen gewürfelt wird und sich dann auf einer einsamen Insel wiederfindet (auch eine absurde Situation). Jedenfalls konstellieren sich in der Reisegruppe auch so unterschiedliche Charaktere, die auf logisch-planbare Weise nie und nimmer zueinander gefunden hätten. Ihre Begegnung hätte sich einfach nicht konstelliert. Außer wenn ihr Kreuzfahrtschiff auf einer einsamen Insel strandet. Der fünfte am Küchentisch in der nordschwedischen Hütte in dunklen Winter war der Schriftsteller Jonas Jonasson, der hatte zum Gaudi der anderen vier Gauner die Aufgabe, aus den vier Schwedenreden eine Geschichte zu basteln, die unten mit vier Handlungsfäden beginnt, die sich alle zu einem Netz verknoten und oben in einem einzigen gemeinsamen Schnittpunkt zusammen kommen. Wäre noch ein Mathematiker in der nordschwedischen Erzählrunde dabei gewesen, hätte er vielleicht mehrere Funktionen grafisch dargestellt, wobei die Graphen der Funktionen einen gemeinsamen Schnittpunkt hätten haben müssen.
Und als sie dann fertig waren und alles harmonisch aufgegangen war, da mussten sie das Manuskript nur noch zum Verlag Piratförlaget bringen, der es 2009 druckte und 2011 nach München zu Carls Books nach München schickte. Die Münchner sollten dann eine deutsche Übersetzung anfertigen. Das taten sie auch, so dass ein Rezensent an der Ostsee ein paar ganz vergnügliche Stunden hatte.