Rezension Herrentier

Helene Musfedder

Rezension „Herrentier“

Sonntag, 09. Dezember 2012

Mimis kleine Bettlektüre, Folge 6: Es waren Könner am Werk

Schnee liegt draußen. Er liegt auf Straßen, Bahnsteigen und und Feldern. Die Bahnsteige und Felder sind leer. Leer wie mein Kopf. In dem ist alles von der Lektüre des Ostseekrimis „Herrentier“ verdrängt. Das ist ein Krimi des Autorenduos Michael Joseph und Matthias Schümann, erschienen im Hinstorff-Verlag in Rostock. Es waren Könner am Werk.

In mir bohrt die Frage, warum kaum noch ein Krimi ohne einen Journalisten mang den Akteuren auskommen kann. Dass hingegen Täter zunehmend der kriminellpolitischen Klasse angehören, verstehe ich irgendwie. Mein Freund sagt manchmal, das Politiker Hehler der Konzerne sind, die nun auch noch das Monopol auf Straftaten haben wollen. Das würde letztendlich die Gesellschaft zum Kriminalitätsopfer machen. Ich antworte ihm dann jedes Mal, dass die Gesellschaft dann ja bald aus unschuldigen Engelchen bestehen müßte. Aber wer könnte sie dann vor den Tätern schützen? Obwohl wir das Thema schon oft ansprachen, kamen wir über diesen Punkt noch nie hinaus. Obwohl das Thema doch eine spannende Seinsfrage ist (nicht Sinnfrage, Seinsfrage. Es geht nämlich ums Ganze).

Darum trifft es sich gut, wenn es Krimis gibt, die unsere Diskussion fortführen als Planspiel oder Situationstraining. Auf diese Weise muss kein Leser persönlich Opfer von Gewalt, Korruption, Betrug, Schmutz und Missbrauch werden und kann dennoch Brauchbares lernen. In „Herrentier“ bringt ausgerechnet der zwanzig Jahre zurückliegende Mord eines kommunalpolitischen Einflussnehmers – sozusagen eines „Ortswirtschaftsführers“ – die politische Klassenkriminalität ans Licht. Im Zoo soll ein Gebäudekomplex errichtet werden. Dazu sind Baugrunduntersuchungen nötig. Und nur einer weiß, das dabei eine Leiche ans Licht kommen wird. Weil er sie dort vergrub. Der Mord an einem Orang-Utan sowie minderstens drei weitere Mordversuche sollen nun alle davon abhalten, sich mit dem Zoo und seinen Plänen zu befassen – zynisch gesprochen: sie würden die Totenruhe stören. Aber soviel Rechtsverdrehung bekommt noch nicht einmal die oberste Politklasse hin. Beteiligte und Unbeteiligte bekommen den Sog der Machenschaften zu spüren: ein Journalist, zwei Polizisten, das Bauamt, der Senat, die Zoodirektorin, ihre Geschäftsassistentin. Warum hat eigentlich noch niemand die Presse als vierte Gewalt mit dem Namen Publikative bedacht, wo die anderen drei Gewalten doch Legislative, Judikative und Exekutive heißen? Übrigens, Herrentier: Ich hab heute irgendwo ein Foto von einem Orang-Utan gesehen. Das Foto war betitelt: „Gebt ihnen noch eine Million Jahre“- Und ich dachte: Wenn der Homo sapiens seine Geschwister Orang-Utan nicht vorher ausrottet, dann lösen sie uns vielleicht ab. Mögen sie es besser machen.

Michael Joseph, Matthias Schümann, „Herrentier“, Hinstorff-Verlag, Rostock 2012

https://www.hinstorff.de/programm/ostseekrimi/978-3-356-01519-5-herrentier.html

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