Helene Musfedder
Rezension „Mörder im Chat“
Montag, 15. April 2013
„Mimis kleine Bettlektüre“, Folge 8: „Opfer, Kult, Atztekenblut“
„Willst Du noch was lesen, Schatz?“, fragte mein Freund und kam mit einer Art Bauchladen voller Taschenbücher zu mir an meinen Leselümmelsessel. Irritiert und mit ganz leichtem Argwohn schaute ich zu ihm auf. Er lächelte mich an wie ein rechtschaffener Biber, der den ganz Tag über fleißig am Staudamm gebaut hat. Ich ließ meine Blicke über seinen Bauchladen schweifen. Zwei Greiffinger schwebten über der Auswahl wie ein Turmfalke beim Rütteln über einer Maus. Dann griffen die Finger blitzschnell zu. Sie hatten. „Mörder im Chat“ erwischt, einen Krimi von Frank Goyke aus der Hinstorff-Reihe „Ostseekrimi“. Die Finger legten das Buch auf meinem Schoß ab. „Danke, Hasi“, sagte ich zu meinem Freund. Er ergriff meine nun freie Hand und hauchte einen Kuss über den Rücken. Ich strahlte Hasi an. Hasi hoppelte aus dem Zimmer und ich war ungestört.
An Frank Goykes Krimi fiel mir zunächst zuerst ein für Krimis eher ungewöhnliches Spiel mit sprachlichen Bildern auf. Sie sind gekonnt an Situationen angepasst und hängen niemals schief im Textkorpus auf den Seiten. Das wird ganz stark deutlich an den Alkoholabstinenzassoziationen der Kommissarin, die im Roman schon 44 Tage trocken ist, aber ständig Durst hat, Wissensdurst und richtigen Durst. Außerdem hat Frank Goyke die bereits in „Mörder im Gespensterwald“ sowie „Mörder im Zug“ angelegte Tendenz zur Gesellschaftskritik ausgebaut, und zwar mit Geist und Witz und spitzer Sprache. („Früher musste man denken können, heute reichen Schwadronieren und Selbstdarstellung“) Diesmal hat man aber den Eindruck, dass die Charaktere der Personen auch noch begründet werden. Es ist, als würde man die Leute von der Pozilei kennen und aufgrund dessen nichts anderes erwarten, als Frank Goyke sie dann im Text tun lässt. Es geht um einen Fall, der von Oberleutnant Erni von Schweizer Polizei und seinem Kollgen nach Rostock angestupst wird. Der Kollege heißt aber nicht Bert. Goykes Kalauer wissen, wo die Linie zum Klamauk überschritten sein würde. Wussten Sie übrigens, dass die Stadtpolizei von Basel (Schweiz) STAPO heißt? Und die oberste Dienststelle Leitstelle? Das und vieles andere Wissenswerte erfährt man so einfach nebenbei aus dem Krimi. Die Schweiz kommt völlig logisch in die Handlung, nämlich übers Internet. Ein Schweizer beobachtet in einem Chat mit Videocamera quasi life eine Mordfall in Rostock. Daher müssen Frau Riedbiester und Herr Uplegger mal wieder in bewährter Weise ran – immer wieder gleich, immer wieder neu. Die Linie geht etwa so: Webcam – Mord mit Machete – Zeuge per Webcam. Selbst die Wahl der Waffe ist auf einmal logisch, denn sie hängt mit abgebrochenen Forschungen der Sektion Lateinamerikanistik der Universität Rostock zusammen. Der Abbruch wiederum hängt mit politisch motivierten Abwicklungen der Hochschullandschaften in Mecklenburg-Vorpommern nach der Wende zusammen. Es traf damals auch die Regionalwissenschaften in Greifswald, die sich mit Nordeuropa befassten. Insoweit ein präzis realistischer Krimi. Nur das eben nicht jeder gleich mit Macheten andern Leuten den Kopf abschlägt, nur weil das ein gängiges Opferritual bei den Azteken war.
Frank Goyke, „Mörder im Chat“, Hinstorff-Verlag, Rostock, 2013