Rezension Goethe und Anna Amalia

Hannes Nagel

Rezension „Goethe und Anna Amalia“

 „Tätiger Goethe, beglückte Amalia

 Diesmal gibt es ein besonderes Fundstück. Bei vielen Literaturwissenschaftlern drängt sich zuweilen der Eindruck auf, sie wüssten zuviel und wollten alles in einem Buch unterbringen, auch wenn die Zahl der Seiten begrenzt ist und die Geduld der Leser auch. Wolfgang Sorge ist kein Literaturwissenschaftler. Er war lange Zeit Lehrer in Orlamünde, wie man hört, war er für Physik zuständig. Das mag erklären, dass er schneller auf den Punkt kommt als es Literaturwissenschaftler könnten. Er hat es geschafft, dass man „Goethe und Anna Amalia“ in 90 Minuten lesen kann – das verlangt nicht mehr Geduld als ein Film im Fernsehen, wenn der ohne lästige Werbeunterbrechung gezeigt wird. Die Forschungsfrage lautet: „Hat er oder hat er nicht?“, und die 71 Seiten begründen, warum Wolfgang Sorge annimmt, dass Goethe und die Herzogin haben. Seine Indizien nimmt der Autor aus einem Gedicht von Goethe und einem Schauspiel. Das Gedicht heißt „Das Tagebuch“ und das Schauspiel „Torquato Tasso“.

cover rezi goethe und anna amalia

Ob die beiden nun wirklich die Klassenschranken auf dem Diwan der Lust überwanden, ist im Grunde genommen keine Sensation für die Literaturgeschichte oder die Geistesgeschichte des Weimarer Musenhofes, eher eine erfreuliche Ermutigung für alle, die Angst vor ihren eigenen Wünschen haben. Was viele träumten – Goethe tat es, Was Frauen sich versagen – Die Herzogin nahms.

Der schönste Satz des Büchleins ist für mich folgender: „Goethes Lebenszeit fällt in eine Epoche umwälzender geschichtlicher Ereignisse und gesellschaftlicher Turbulenzen“. Gesellschaftliche Turbulenzen und umwälzende geschichtliche Ereignisse gibt es derzeit auch. Wenn es gut geht, ist dies ein Grund zur Hoffnung. Es hängt von uns ab.

Wolfgang Sorge, „Goethe und Anna Amalia“, Berlin 2013

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