BEWEGUNGSMELDER
“Vorsicht: Datensammeln kann totalitär machen”
Neulich las ich einen Artikel von Harald Wetzler. (“Wenn man etwas merkt, ist es zu spät”, FAZ, 23.04.2014). Der Artikel begann mit der Beschreibung der Begeisterung von Harald Wetzler über die Möglichkeiten, selbst im Braunen Deutschland unterzutauchen, illegal zu leben und nicht aufgespürt werden zu können. Und um die Möglichkeit, doch noch fliehen zu können, wenn man enttarnt wird. Nach der begeisterten Beschreibung über die Möglichkeiten sich verstecken müssender Menschen kommt die betrübliche Feststellung: Das geht heute nicht mehr. Denn heute gibt es globalisierte Herrschaftsnetzwerke. Für das Untertauchen im Braunen Deutschland waren nur Glück, Vorsicht und Fluchthelfernetzwerke. Die mussten selbst so klein sein, dass sie nicht auffielen, und groß genug, um arbeiten zu können. Harald Wetzler nennt dies „die Nischen des Privaten und der Intransparenz“. Die bisherigen Nischen des Privaten gibt es nicht mehr. Teils machte die eigene Bequemlichkeit es Geldkarteninstitutionen, Mobilfunkbetreibern, Werbung und Versicherungen ziemlich einfach, sich in den privaten Nischen der Menschen auszukennen. „Leben Sie, wir kümmern uns um die Details“, hieß mal ein Werbespruch. Eigenschutz gegen den Informationstotalitarismus ist also nur möglich, indem man sich stets aufs Neue Nischen schafft. Denn um uns selber müssen wir uns selber kümmern, sonst leben wir nicht, sondern werden gelebt. Der Rückzug in Nischen ist schwer. Denn der heute übliche Lebensstil setzt die Benutzung von Geräten und Gegenständen voraus, die im Grunde Datenschleudern sind: Mobiltelefone, E-Mail, SMS, Kartenzahlungen, GEZ, Kraftfahrzeuganmeldungen, Einkommensnachweise gegenüber dem Jobcenter, wenn man Hartz-Vier-Opfer ist, sogenannte intelligente Zähler für den Verbrauch von Strom und Wasser, und wo das alles nicht reicht, gibt es juristisch fabrizierte Auskunftsverplichtungen der Bürger gegenüber Vermietern, Energieversorgern, Arbeitgebern und Krankenkassen. Diesem Stress möchte man sich gerne entziehen. Selbst der Versuch, keine digitalen oder aktenkundlichen Spuren in Anträgen, Pflichtmitteilungen und Bescheiden im Umgang mit Ämtern und Behörden zu hinterlassen, hinterlässt heute Spuren. Zumindest macht sich im Sinne der Obrigkeit verdächtig, wer keine Spuren hinterlässt oder plötzlich abweichende Spurenmuster hinterlässt. Weniger Wasser zu verbrauchen darf kein Grund für einen Wasserversorger sein, mit Argwohn den Haushalt des betroffenen Bürgers unter vorsorgliche Observanz zu stellen.
An die überall gesammelten Daten machen sich Algorithmen heran. Sie sollen die gesammelten Informationen auswerten und in Zusammenhänge bringen. Da kommt bisweilen Unsinn heraus. Mein Buch „Omelett oder Rührei – eine Art franziskanische Wirtschaftsordnung“ wird mit konstanter Seelenlosigkeit als Kochbuch angesehen. Dabei geht es um Lebensformen, durch die eine würdevolle Existenz möglich ist, indem sich Menschen Nischen verschaffen können, die ihnen Urlaub vom Kapitalismus schenkt. Kein algorithmischer Filter kann den Sinn erkennen, denn der Sinn offenbart sich gegenüber Geist und Seele. Bloß der Schaden, den der informationelle Totalitarismus anrichten kann, der ist verheerend.