REZENSION: Deutscher Meister

 

REZENSION: „Deutscher Meister“

„Ironie mit Fineliner und Blutflecken“

Stephanie Bart hat sich einen Schreibstil getraut, der allen Regeln des kreativen Schreibens den verbissenen Ernst nimmt. Sie bringt es fertig, als Autorin vollständig hinter den Figuren zu verschwinden. Sie ist nur die Luft, die die Figuren atmen, um in der Literatur zu leben. Was die Figuren miteinander machen, ist nicht mehr Sache der Autorin. Die Sache ist die: 1933 ist es im deutschen Boxsport turnusmäßig wieder so weit, dass der Kampf um den Titel „Deutscher Meister“ ausgeschrieben wird. Aussichtsreichster Kandidat ist der Boxer Heinrich Rukelie Trollmann. Er passt aber ethnisch den Herren Ariern nicht. Es muss Boxsportverbandlicherseits dafür gesorgt werden, dass Rukelie Trollmann auf gar keinen Fall deutscher Meister wird. Boxen darf er ja. Schläge einstecken auch. Je mehr, desto besser. Bloß eben den Meistertitel darf er nicht kriegen. Mit Schiebung, Statuten und Regelreformen bereiten die Funktionäre dann das Rahmenwerk vor, welches dem Zigeuner das Recht auf den Titel aberkennt. Sie schaffen es. Aber nicht die perfide Methodik der Funktionäre bleibt im Gedächtnis, sondern die spielerische Flinkheit des Boxers in Wort und Hieb. Ich glaube, niemand hat es bisher geschafft, Faustkämpfe so zu beschreiben, dass sie auch für solche Leute spannende Sportreportagen sind, die sonst mit Boxen rein gar nichts am Hut haben. Ich glaub, Egon Erwin Kisch und Ernest Hemingway würden vor Ehrfurcht erstarren, wenn sie den Sprachstil von Stephanie Bart lesen könnten. Die Funktionäre sind so fein überzeichnet, dass man sich schon vorstellen kann, wie Pöstchensuche und Gehabe im Wichtigkeitsbetrieb sich selbst lächerlich machen. Nationalsozialismus ohne Gewalt hätte jedem die Lächerlichkeit vor Augen geführt – und er hätte nicht werden können, welches Grauen er war. Daher hat denn auch der ironische Fineliner bittere Blutflecken.

Stephanie Bart, “Deutscher Meister”, Hoffmann und campe, Hamburg 2014

cover rezi deutscher meister

Dieser Beitrag wurde unter Feuilleton-Rezension veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.