REZENSION: Von der Diktatur zur Demokratie

REZENSION

Rezension „Von der Diktatur zur Demokratie“

„Solange die Erinnerung frisch ist“

Das Wort Diktatur hört sich nach Militärjunta an. Es hört sich an, als verschwänden stets willkürlich Menschen. Wenn man morgends aufsteht, weiß man noch nicht, ob man abends bereits gefoltert wird. Angst und Denunziation beherrschen die Beziehungen der Menschen untereinander. Solche Diktaturen gibt es. In dem Wortungetüm „Diktatur der Arbeiterklasse“ ist das Wort „Diktatur“ nur unglücklich oder missverständlich gewählt. Neben reinen polizeistaatlichen Diktaturen gibt es aber auch noch das Diktat der Finanzmärkte mit seinen verheerenden sozialen Auswirkungen und ein Diktat der Rechts-und Regelvorschriften beispielsweise bei der individuellen Versorgung von Haushalten mit Solarenergie und bei anderen Zwangsgebühren, die nicht nötig sind. In Gene Sharps Broschüre „Von der Diktatur zur Demokratie“ (in vierter Auflage 2014 bei C.H.Beck in München erschienen) geht es aber ausschließlich um solche Diktaturen, die an der Macht des Militärs auch im Innern des eigenen Landes und an paramilitärischen Polizeibefugnissen erkennbar sind. Staatsrechtler, Gesellschaftswissenschaftler, Historiker und Politikwissenschaftler lehren beinahe einhellig, dass es zwischen Demokratien und Diktaturen eine Art Abwechslungsverhältnis gäbe. An das Ende einer diktatorischen Herrschaft schließt sich eine bisweilen lange Phase der Demokratisierung an. Aber auch Demokratien halten nicht ewig, und so können sie in Chaos versinken. Dann ruft der Staat nach dem Militär, um Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten. Das Militär versteht sich als Retter und baut seinerseits seine Macht aus. Weil es gar nicht anders kann, beruht die neue Ordnung auf Befehl, Gehorsam und Bestrafung und schon ist die Diktatur etabliert. Irgendwann reicht es den Menschen und sie versuchen einen demokratischen Wandel herbeizuführen. Sie sollten das tun, solange die Erinnerung an die Annehmlichkeiten der Demokratie noch frisch ist, damit sich jeder etwas unter dem Neuen vorstellen kann, welches das Alte, die Diktatur, beseitigt. Ein Gustav Noske, der seinerseits bezeichnender Weise Sozialdemokrat war, hielt 1918 die militärische Diktatur für ein legitimes und geeignetes Mittel, um mittels übergeordneter Gewalt reaktionäre Kräfte, welche die Monarchie wieder haben wollten, und revolutionäre Kräfte, die soziale Gerechtigkeit erträumten, gegeneinander auszuspielen. Auf der einen Seite Reaktion und Monarchie und auf der anderen Seite Demokratie und Republik spielte die Weimarer Republik solange gegeneinander aus, bis das Land in Hitlers brauner Scheiße saß. Hätten Weimars Demokraten das Buch gekannt, hätten sie den Sturz in die faschistische Diktatur verhindern können. Vielleicht. „Hätte der Hund nicht gekackt, hätte er vielleicht den Hasen gefangen:“ Aber angesichts der derzeitigen Abstiegsdrohung der Demokratie zugunsten einer neuerlichen Diktatur könnte die Lektüre des Buches durchaus ein Wegweiser sein, wie man eine europäische Diktatur vermeiden kann. Schon komisch, dass unterdrückte Länder zur Demokratisierung neigen, während Demokratien zur Faschisierung tendieren, wie es die USA-Politik seit der Globalisierung und Neoliberalisierung der Weltwirtschaftsordnung unverhohlen vorführt.

Das Wichtigste an Gene Sharps Buch ist die Auflistung der 200 Methoden des gewaltfreien kampfes gegen Diktaturen oder zum Stopp abgleitender Demokratien in den Pfuhl der Diktaturen. Die sind alle im Anhang aufgelistet.

(Gene Sharp, „Von der Diktatur zur Demokratie. Ein Leitfaden für die Befreiung. Lehrbuch zum gewaltlosen Sturz von Diktaturen.“, Verlag C.H.Beck, 4. Auflage 2014, Original: „From Dictatorship to Democrazy“, 1993)

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