REZENSION: “Reuters erster Fall”

Rezension „Reuters erster Fall“

„Am Ende bleibt die Traurigkeit“

(von Helene Musfedder)

 Für seinen aktuellen Ostseekrimi hat sich Frank Goyke etwas völlig Neues ausgedacht. Er lässt den Schriftsteller Fritz Reuter nebst anderer realer Personen der mecklenburgischen Geschichte antreten, um einen fiktiven Fall von Kindestötung aufzuklären. Trotz aller regionaler und landeskundlicher Details will keine rechte Freude aufkommen. Denn Fritz Reuters Trunksucht spielt eine tragende Rolle in Frank Goykes Krimi. Die Beschreibung von Fritz Reuter im Suff ist beklemmend. Beklemmend wie ein Asthmaanfall mit gleichzeitiger schleichender Lähmung. Ob das damit zusammenhängt, dass in Goykes Rostocker Ostseekrimis auch schon eine trunksüchtige Ermittlerin auftritt? Bloß warum? Warum spielt der Suff in Goykes Krimis eine so große Rolle? Vielleicht sogar die Hauptrolle? Der Suff als literarisches und biographisches Stilmittel lenkt vom Rest der Handlung ab – von antisemitischen „False-Flag-Intrigen“ zum Beispiel und von dem Unterschied zwischen vorhandener und gewünschter Anerkennung des Autors Fritz Reuter auf dem Wege der Bekanntheit seiner Werke. Ein durchgehendes Element in dem Krimi ist Reuters „Müsstich-Dilemma“. Er müsste eigentlich an „Kein Hüsung“ schreiben, tut es aber nicht, weil zugleich sein Quartalsalkoholismus beginnt. Immerhin wird Reuter als kultivierter Säufer dargestellt, der guten Wein billigem Fusel vorzieht. Aber schöner wird die Sucht dadurch auch nicht. Wenn man nicht wüsste, dass Fritz Reuter den Titel „Kein Hüsung“ wirklich fertig gestellt hat, müsste man nach der Lektüre des Krimis annehmen, bei Reuter handele es sich um einen Trinker, dem nach genügend Wein die besten literarischen Ideen kamen, die aber auf immer verschwunden sind, weil er wegen Gläser Hebens nicht zum Feder schwingen kam. Am Ende bleibt die Traurigkeit.

Es scheint, als sei in Hinstorffs Reihe „Ostseekrimi“ eine neue Phase angebrochen, nämlich die Phase der Realgeschichte als Lokalkolorit für die üppige Fiktionalität, mit der die Autoren aus der Vorgabe Lokalkolorit die Gobelins ihrer Erzählungen weben.

(Frank Goyke, „Reuters erster Fall“, Hinstorff-Verlag, Reihe Ostseekrimi, Rostock 2015)

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