FEUILLETON-ZEITGEIST: Anstoss zum Zeitvergleich

Feuilleton-Zeitgeist

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Einmal wollte ein Gedanke einen
Sprung machen.
Er stürzte und verletzte
sich am Fuß.
„Seht, dort hinkt ein Vergleich“, sagten die Leute.
Es war aber kein Vergleich. Es war nur ein Gedanke.
Es dauerte lange, bevor ihn einer aufhob.

 

„Anstoß zum Zeitvergleich“

Die guten alten Zeiten

Märchen fanden in der Vergangenheit statt. Märchen waren, auch als sie noch lebendig erzählt wurden, nie Gegenwart. Märchen sind die ältesten Beispiele für Zeitvergleiche. Ihr Vergleichsmaß ist die Phrase: „Damals, als Wünschen noch geholfen hat“. Märchen sind Ausdruck von Unzufriedenheit und der Option „Wunsch“ zur Lösung von Problemen. Aber kein Märchenerzähler hatte die Lösung einer Krise oder eines sozialen Missstandes durch einen Wunsch jemals selbst erlebt oder dokumentiert. Märchenfilme sind keine Dokumentarfilme. Märchen erzählen zwar Geschichten, aber sie sind keine Zeitgeschichte. Ausdruck einer Literaturgeschichte, Kulturgeschichte oder Denkgeschichte sind sie indessen durchaus.

Manche sagen: „Das wär damals nicht passiert“

Ebenso wie das Märchenerzählen kann man Geschichte nur rückwirkend betrachten. Die Weite des Rückblicks ist begrenzt. Im Prinzip reicht sie nur so weit wie die Erinnerungen. Deswegen heißt es ja auch: „Ein Historiker ist ein Mensch, der sich erinnert.“ Als die Stadt Neustrelitz im Jahre 2015 Flüchtlinge aufnahm, erinnerten sich ältere Leute an ihre eigenen Erlebnisse als Flüchtling im Jahre 1945. Ihr Vergleichsmaß war das Versorgungsniveau. Sie verglichen das „Nichts“, was sie selber bekamen, mit der Erstausstattung der heutigen Flüchtlinge und schlußfolgerten: Sie bekommen den sozialen Wohlstand umsonst und finden es normal, ihn zu beanspruchen. Wer aber Vieles kennt und daher Einiges vergleichen kann, der kann und muss auch hier differenzieren. Bei ungenügender Differenzierung haben schon mehrfach Leute gesagt: „Unterm Führer hätts das nicht gegeben“. Das scheint ein unzureichendes Vergleichsergebnis zu sein. Erstens fehlt dem Vergleich, was es „unterm Führer“ dann eben doch alles so gab: Straßengewalt der SA, Denunziation, Arisierung jüdischen Eigentums, eine Rassenunsinnslehre und einen Vernichtungskrieg. Wenn hier noch was fehlt, läuft das unter „und dergleichen mehr“.

Manche sagen: „Es geht schon wieder los“

Eine andere Form des Zeitvergleichs ist die Suche nach Übereinstimmungen mit bereits Vergangenem. Bei der Einführung der neoliberalen Hartz-Vier-Gesetze sahen wurden vielfach Vergleiche mit der Weimarer Republik gezogen. Die Vergleiche betrafen zumeist die Folgen der Entwicklung des Sozialabbaus unter Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Peter Hartz, Ulla Schmidt und Wolfgang Clement. Am Ende der Weimarer Republik stand die nationalsozialistische Diktatur. An den Vergleichen der neoliberalen Jetztzeit mit der Weimarer Republik erkennt man, dass man bei Vergleichen immer auf den Bezug achten muß. „Weimarer Verhältnisse“ kann man in Bezug auf Arbeitslosigkeit, Radikalisierung und einem Ende der Unruhen sehen. Das hört sich beispielsweise so an: „Je stärker die Wirtschaftskrise die Bevölkerung belastete, desto mehr Menschen schlossen sich den Kommunisten an.“. Komisch nur, dass dann die Nazis gewonnen hatten und 12 Jahre Terror Andere bezogen ihren Vergleich allein auf die Wahlen und die Regierbarkeit des Staates und der Beherrschung des Volkes. Kein einziger vergleich der neoliberalen jetztzeit bezieht sich auf den Schwung in der Kultur. verallgemeinert wird dazu „Die goldenen Zwanziger“ gesagt. Ohne Hartz –Vier und Kriegsgefahr, aber Afd, Pegida und Neoliberalismus als „Witzableiter“, wäre zur Zeit ein guter Nährboden für Kabarett, Kleinkunst, Amüsement und seriöse Kultur. Zwar würden die Verhältnisse immer noch zwicken und zwacken, wie ja auch das Kabarett im Idealfall die Verhältnisse zwickt und zwackt, und die Kultur könnte auch mal schmerzhaft ausrutschen, aber die Kultur könnte nicht mehr mit der politischen Ausrede des Geldmangels und der immensen Finanzierungskosten kaputt gespart und kurz gegängelt werden.

Manche sagen: „Jedem schlägt jetzt seine Stunde“

Vor ein paar Jahren, als wegen Sozialabbau und Niedriglohnsektor samit aller damit zusammenhängeden Folgen Vergleiche mit der Weimarer Republik gezogen wurden, hielten manche einen neuen Führer für unmöglich, sahen aber bereits genügend willige Vollstrecker in den Startlöchern. Dann kam die Stunde der Partei „Alternative für Deutschland.“ (Manche sagen der Name steht für „Alternative zu Rechststaat und Demokratie“. Da möchte man dann doch genauer wissen, worauf man sich einlässt. Sie begann trat bei Wahlen auf und ist nun beinahe täglich in den Medien. Es muss doch nach all den Lehrangeboten zu Konfliktmanagement, Kommunikation und Friedensforschung möglich sein, dass sich eine Radikalisierung bei Teilen der Gesellschaft gar nicht zur Gefahr entwickelt. Wenn es gelungen wäre, der Hitlerei mit autogenem Training den rechten Arm so schwer zu machen, dass sie ihn nicht mehr hoch gekriegt hätte, wären Reichstagsbrand, Konzentrationslager, Deportation der Juden, Holocaust, Kristallnacht und Zweiter Weltkrieg vermeidbar gewesen. Nazi ohne Gewalt ist lächerlich, hat mal ein Kabarettist gesagt. Da könnte er recht haben.

1985 konnte man in einer Ostberliner Kneipenklotür einen Spruch lesen. Der ging so: „Mein Zweifel lässt sich schlecht verhehlen: / Ich seh so viele Parallelen. / Ich hab geprüft gesucht und sah: / Es war alles schon mal da.“. Das Wesentliche eines Zeitabschnittes war immer das, was Menschen mit der Zeit, die ihnen auf Erden gegeben war, gemacht haben: Kreuzzüge, Dreißigjähriger Krieg, Aufklärung, Entdeckungen, Kultur, Kunst, Erster Weltkrieg, Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg, Neoliberalismus. Der Frieden aber bleibt bei dem, der ihn ans Herz drücken kann. Den Krieg besiegt man nicht mit Waffengleichheit oder Waffenüberlegenheit, sondern hinten rum, in dem man dem Krieg ausweicht. Parallelen sind schließlich unter anderem auch dafür gut, dass sie sich nicht in die Quere kommen Und wenn man sie dann so betrachtet, merkt man, wie wenig anders als das, was man ablehnt, doch selbst ist.

 

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