FEUILLETON-REZENSION: Mutter Blamage und die Brandstifter

Rezension „Mutter Blamage und die Brandstifter“

„Ehre für einen Politikstil“

 Ein Buch „will Dinge anders zeigen“, heißt es im Vorwort von „Mutter Blamage und die Brandstifter“. Das Buch versteht sich als Plädoyer für die Ablösung von Angela Merkel. Angela Merkel ist, auch wenn man das an ihren Handlungen nicht immer sieht, Bundeskanzlerin der BRD. Außerdem stammt sie aus dem Ósten, weshalb das poltische Kabarett sich mal zu dem Jux hinreißen ließ, dass die politische Schulung einer engagierten FDJ-Sekretärin der DDR durchaus als politische Grundausbildung für einen Aufstieg im Partei-und Staatsapparat des vereinten Deutschlands angerechnet werden kann. Trotz aller Unterschiede und wegen aller Ähnlichkeiten.
Der Autor des Buches heißt Stephan Hebel und war dem Klappentext zufolge „langjähriger Redakteur der Frankfurter Rundschau“. Am Text des West-Autors über die Ost-Kanzlerin fällt auf, dass er Merkels Politikstil mit Merkelismus bezeichnet. Diese Wortschöpfung entspricht einer Tradition, zu der auch die Wortschöpfungen Thatcherismus, Peronismus, Stalinismus, Marxismus, Leninismus und Maoismus gehören. Komisch am Wort Merkelismus ist aber, dass es auch ein wenig wie Merkantilismus klingt, also wie eine mittelalterliche Kaufmannsmentalität. Aber wieviele und welche Eigenschaften von Angela Merkel erlauben es, ihrem Politikstil den eigenständigen Gattungsnamen Merkelismus zu geben? Stephan Hebel schreibt:

„Merkel betreibt eine einseitig neoliberale an ökonomischen Interessen orientierte Politik.“

Das machen andere auch. Und dazu passt dann auch Merkels Begriff von der „marktwirtschaftlichen Demokratie“ statt eines ansatzweise am Gemeinwohl orientierten Begriffs „demokratische Marktwirtschaft“.

Dem Autor muss klar gewesen sein, dass er in der Wortwahl zwischen Meinung, Polemik und Analyse schwankt und keinen festen Boden findet. Da her steht im Vorwort so etwas wie die Prämisse des Autors, die er bekannt gibt, um sich erkennen und einordnen zu lassen. Denn als Neurechter will er ja nicht gelten oder mißinterpretiert werden, nur weil er Wörter benutzt, die auch die „Braunschreier“ von Afd und Co. benutzen. Stephan Hebel nennt Merkels Politik eine „Blamage“, schreibt vom „Versagen der Kanzlerin“, von „kultureller Entfremdung“, von „Politik mit Angst“ und dass „die Merkel weg muss, weil Deutschland eine echte Alternativer braucht“. Da versteht man zu gut, dass er die Gründe seiner Wortwahl vorher erläutert. Dennoch hat er große Schwierigkeiten mit der Begründung des von ihm benutzten Wortes Blamage. „Sie blamiert das Land“, schreibt er auf Seite 15. Nicht: Sie blamiert sich selbst.
Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so direkt frage: Wie kann man ein LAND blamieren? Also einen Staat? Blamiert sich ein Werkzeug in den Händen derer, die es einsetzen? Wie heißt das Werk, an dessen Entstehung das Kleine Werkzeug Merkel eingesetzt wird? Zieht das Kleine Werkzeug Merkel nur ein paar Schräubchen an einer Maschine zur Lenkung und Beherrschung von Gesellschaften unter den Bedingungen der neoliberalen Lebensweltrealität? Angela Merkel macht, wie Hebel zutreffend auf Seite 17 schreibt, Politik als „Kanzlerin des Neoliberalismus“. Neoliberalismus wird inzwischen von vielen Autoren wahlweise als „Sozialfaschismus“, als „weicher Faschismus“, als „Faschismus neuen Typs“ oder als „kalter Faschismus“ bezeichnet. Was aber hat die METHODE FASCHISMUS mit der IDEOLOGIE NEOLIBERALISMUS gemeinsam – und kann die Ideologie Neoliberalismus überhaupt anders als mit faschistischen Methoden umgesetzt werden?

Bis Seite 58 geht es um die Blamage. Hebel fasst zusammen:

„Und deshalb kann die Diagnose nur lauten, dass diese Kanzlerin unser Land blamiert.“

Vielleicht haben „wir“ auch nur andere Vorstellungen von „unserem“ Land. Das Land, welches „wir“ uns vorstellen, gibt es vielleicht gar nicht, weil „wir“ in unserem Land gar nicht so viel zu sagen haben über Rente, Bildung, soziale Sicherheit, Umweltschutz, Gesundheitsfürsorge, Datenschutz und eine geldbeutelunabhängige Rechtssprechung, wie „wir“ gelernt haben und uns als Ideal denken. Den Neoliberalismus kann Merkel nicht blamieren, wenn sie genau dessen Vorgaben erfüllt. Gute Arbeit, Jugendfreundin.

Von Seite 43 bis 86 widmet sich der Autor der Rolle von Merkel und ihres politischen Lagers bei der Entstehung und Stärkung der „Alternative zu Rechtsstaat und Demokratie“ (AfD). In den Anfangsjahren hielten Kritiker diese Partei noch für den „radikalen Arm der FDP“. Die FDP verschwand 2013 im Parteienspektrum bei „Sonstige“. Sie hatte sich hauptsächlich auf Steuersenkung und Wettbewerb versteift. Sie dachte wohl, wenn liberal im Namen steht, muß Neoliberal modern und freiheitlich sein . Es ist aber nur die Freiheit der Sieger in einer auf Wirtschaftlichkeit reduzierten Lebenswelt. Weder FDP noch Merkels CDU hatten bedacht, dass eine Einschränkung der Kultur durch die Vorherrschaft der Ökonomie eine Beschränkung der Freiheit ist und keine Bedingung für deren Entfaltung. Autor Hebel sieht nun zwischen Merkels neoliberaler Wirtschaftsherrschaft und dem Rassismus der AfD ein Kräftepaar, das gemeinsam stark ist und wirkungslos wäre, wenn eins ohne das Andere auskommen müsste.

„Der Erfolg der AfD hat vor allem damit zu tun, dass der Merkelismus jede Kurskorrektur hin zu einer fortschrittlichen nPolitik bis heute verweigert.“ (Seite 46)

 Und so kommt eben kein sozialer Frieden zustande. Das heißt ja wohl, dass die AfD für die von rot-grün-schröder eingeleitete neoliberale Politik die Rolle des nützlichen Idioten spielt. Stephan Hebel macht dies in seinem Buch ein wenig umständlich klar, aber wenn man sich anstrengt, versteht man, was er meint.

(Stephan Hebel, „Mutter Blamage und die Brandstifter“, Westend Verlag, Frankfurt an der Börse, 2017)

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