FEUILLETON-REZENSION
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„Die geheime Bibliothek von Daraya“
Widerlich ist und wohl hauptursächlich für die ständige Wiederkehr von Kriegen und gewalttätigen Konflikten scheint das „Schnelle Vergessen“ zu sein. Kaum jemand vermag wohl ohne Nachzudenken sofort zu sagen, wann genau Bürgerkrieg, Rebellion, und Terror gegen die Zivilbevölkerung in Syrien begann. Als 2017 das französische Original von „Die geheime Bibliothek von Daraya“ erschein, war die Gewalt schon im sechsten Jahr im Gange. Die erste in deutscher Übersetzung erschienene Ausgabe erschein 2018. Man glaubt gar nicht, wie schnell man die Anfänge von Gewalt vergisst, wenn man sich an die Gewalt als Dauerzustand gewöhnt hat. Noch weniger glaubt man, wie schnell sich Menschen auch an üble Dinge gewöhnen, wenn sie nicht direkt und schmerzlich täglich davon betroffen sind. 2018 hat sich immer noch kein Frieden gezeigt, der den Menschen angstfreies Leben und befreites Lachen erlaubt. Es scheint, dass Kriege immer solange am Laufen gehalten werden, wie deren Verursacher sie brauchen. Oder die tatenlosen Mitnutzer der Kriege, deren Freude am Krieg darin liegt, sich die Hände nicht selbst schmutzig zu machen.
Die Autorin Delphin Minoui beschreibt in ihrem Buch „Die geheime Bliothek von Darayaa zuerst die entstehung der Bekanntschaft mit ihrem Thema. Sie ist Journalist und Nahost-Expertin, vergleichbar mit Peter Scholl-Latour. Informationen im Journalsismus gehen bisweilen seltsame Wege, und so bekam die Autorun Kenntnis davon, dass nördlich von Damaskus in der Stadt Darayaa Menschen aus den Trümmern der Häuser nach Bombenangriffen Bücher sammelten und n einem versteckten Ort unterbrachten. Das allein ist schon ein starkes Bild: Menschen lernen Frieden durch die Rettung des Geistes vor der zermalmenden Kraft des Krieges, indem sie den Büchern, die durch den Krieg ihre heimatlichen Regale verloren haben, Asyl an einem vergleichsweise sicheren Ort geben. Der bewahrte Geist auf den Seiten von Büchern bedarf ständig der Leser, die durch den Geist der Bücher ihr Wissen erweitern und ihre Kultur bewahren, wodurch sie die wesentlichsten Elemente des Friedens erleben: Frieden ist ein sich ständig erneuerndes Gemeinschaftswerk von Geist und Kultur.
Kriege, auch lokale Bürgerkriege, auch gewalttätige Konfliktaustragungen zwischen kriminellen Banden, jede auch verbale Ohrfeige, die einer dem anderen links und rechts verpasst, obwohl der andere nur freundlich gegrüßt hatte, sind immer verlorene Zeit. Streit ist Zerstörung von Kultur. Die Zerstörung ist noch klein im Kleingeist und schon gewaltig in der Zerstörungskraft bei offener Austragung. Statt zu streiten gäbe es unendlich viel zu tun für die Bewahrung der Schöpfung und die Bewahrung der Umwelt.
Bücher und Bücher bringen, wenn sie aus der Notlage ihrer verlorenen Regale gerettet werden sollen, ein ethisches Problem mit sich: Sammelt man wahllos auf, was einem in die Hände fällt, oder lässt man einige liegen, deren Inhalte darauf schließen lassen, auf den Verlust des Regals geistig hingearbeitet zu haben? Darf man Francis Fukuyamas Buch „Das Ende der Geschichte“ verbrennen lassen, um wenigstens Albert Schweitzers Broschüre „Die Lehre der Ehrfurcht vor dem Leben“ zu retten? Die Antwort der Retter steht auf Seite 34: Das Ziel sei eine universelle Bibliographie des Friedens, um Fehlentscheidungen mit kriegerischen Folgen zu vermeiden.