FEUILLETON-REZENSION: Die Möglich-Macher-Macht

FEUILLETON-REZENSION

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„Die Möglich-Macher-Macht Europas“

Sprache ist etwas Schönes. Manchmal gibt es sogar völlig überraschende Wortkreationen, die aus einer Verlegenheitslücke beim Übersetzen zu stammen scheinen. Ein solches Wort hat die Münchner Sicherheitskonferenz in ihrem Newsletter zur Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Deutschland Anfang Juli 2020 gefunden. „Die Möglich-Macher-Macht“ heißt dieses Wort, weil es im englischen Original „The enabling Power“ lautet. Wenn der Zielsprache eine paar zusammengesetzte Substantive fehlen, musss man des besseren Ausdrucks wegen manchmal ein paar Umschreibungen benutzen. Auch wenn dann die Satzkonstruktion von der Ausgangssprache abweicht. „Die Möglich-Macher-Macht“ hört sich sonst etwas komisch an, als ob ein Kind mangels Kenntnis des Wortes „Schmuckelement“ die Formulierung „Schön-Ausseh-Ding“ kreiert. Und so erblickte „The enabling Power“ alias „Die Möglich-Macher-Macht“ das Licht der Öffentlichkeit.

Der Text ist eine Publikation der Münchner Sicherheitskonferenz. Der aktuellen Mode entsprechend beginnt ist der erste Abschnitt der Pandemie „Corona“ gewidmet. Die Pandemie sei „die schwerste Herausforderung für das Überleben der EU“. Beim Weißbuch 2016 waren es noch Cyberwar und Russland, durch die sich Europa zu besonders aufmerksamen Handeln gezwungen sah.

Hinter „Überleben der EU“ steht ein Komma. Nach dem Komma folgt ein einschränkender Nebensatz: „wie wir sie kennen“. Wird die EU also in einer Form überleben, die wir noch gar nicht kennen?“ Ist es vorstellbar, dass jenes Europa, welches wir noch gar nicht kennen, ein gastfreundliches, kosmopolitisches und unbürokratisches Gemeinwesen werden wird, in dem das Primat des Neoliberalismus von einem kulturellen Bildungseuropa mit einer tragenden Wirtschaft abgelöst wird? Eine 18-seitige Broschüre wäre dafür ein feines Manifest.

Stattdessen elementare nationale Sicherheitsinteressen. Schon ist von nationalem Grundinteresse die Sprache. Das dicke Deutschland profitiert von allen Mitgliedern der Europäischen Union am meisten am Zusammenwachsen von Märkten, Verwaltungsstrukturen und der Sicherheitsbehörden, steht da auf Seite 4. Ausserdem habe Deutschland nur Freunde um sich. Allein durch die schiere geografische Lage und das wirtschaftliche Potential sei Deuschland daher das Fundament für Frieden und Stabilität in Europa. Daher müßte Deutschland doch voll und ganz in der Lage sein, „Verantwortung“ zu übernehmen, welche dann in den inhaltlichen Details von verschiedenen Seiten verschieden interpretiert wird. Die NATO verlangt mehr finanzielles und militärisches engagement. Nein, stimmt gar nicht: Sie sagt nicht „militärisches“ Engagement, sondern „sicherheitsolitisches Engagement“. Gemeint ist trotzdem das militärische Engagement, wie es im Weißbuch der Bundeswehr von 2016 beschrieben ist und zuletzt in der Beteiligung an der Einsatzfähigkeitsberprüfung des Manövers „Defender 2020“ unmissverständlich demonstriert wurde. Deutschland, die Möglich-Macher-Macht.

Mittelmäßige Propaganda mit informativen Aussagen.

Im Grunde ist die Broschüre „Die Möglich-Macher-Macht“ ein Stück mittelmäßige Propaganda mit informativen Spurenelementen. Zwischen den Zeilen läßt sich beispielsweise herauslesen, dass der sperrige Titel zur Vermeidung bei vielen Deutschen und in weiten Teilen Europas verpönten Wortes „Führungsmacht“ dient.

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