FEUILLETON-REZENSION
Autor: Christian Greis
Titel: „ Zur Zukunft eines bedingungslosen Grundeinkommens: Eine soziologische Bestandsaufnahme“
Autor der Rezension: Hannes Nagel
Erscheinungsort und Jahr: Promedia-Verlag, Wien 2021
„Grundeinkommen: Pfleglicher Umgang mit Erstausstattung“
Erst galten alle Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens als „Linke Spinner“. Dann hielt sogar der ehemalige Sozialstaat Finnland das Grundeinkommen für wömglich und wagte ein Experiment. Erkenntnis: Niemand wird unedingt fauler als sowieso, wenn er nichts tut und dafür bezahlt wird. „Empörend“, schrie das konservative Lager in Europa und versuchte die Höhe wenigstens auf Hartz Vier Niveau runter zu schachern. „Augenwischerei“, äußerten fachkundig freiberufliche Kritiker, die teils aus eigener Erfahrung sprachen. Alle zusammen waren sich einig darüber, dass das Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“ spannend wie sozialgeschichtliches Drama ist, bei dem zwischen Tragödie und Komödie noch alles offen ist.
Die Dialektik von Kompetenz und Lösung: Wers NICHT kann, wird gebraucht, weil das Problem noch gebraucht wird
„Es ist bis heute wahr geblieben, was Marx im Kapital geschrieben: Bleibt Arbeit stet nur Fremdarbeit, nutzt sie nur der Minderheit, die Werkzeug. Grund und Boden hat, und trampelt alles Leben platt“, sagte mal jemand ungefähr 2005 auf dem Flur eines Arbeitsamtes. Der Mann war ein ehemaliger DDR-Gesellschaftswissenschaftler, der in den Zeiten des neoliberalen sozialfaschistischen Ausbaus der Minilohnsektoren im Deutschen Arbeitsmarkt einfach nicht mehr gebraucht wurde, obwohl Menschen mit Bildung und Kultur mehr gebraucht würden denn je.1 „Fähigkeit ist keine Garantie für Arbeit, aber für Ausschluss von Arbeit“, sagte er nach Erreichen der zweiten Stufe des Zynismus. Ich wünsche dem Leidenskollegen, dass er das Buch „Die Zukunft eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Eine soziologische Bestandsaufnahme“ von Christian Greis lesen möge.2 Keiner schrieb bisher so präzis und eingängig über die soziale Absicherung in den bevorstehenden Jahren wie Christian Greis. Wortwahl und Ausdruck entsprechen den kleinen Leuten, die schnörkellose proletarische Klarheit bevorzugen, kann aber auch von geistigen Hochkarätern aus Wissenschaft oder Gesellschaftselite verstanden werden. Vielleicht wäre Greis sogar der Einzige, der in der Lage wäre, Hartz Vierer zu verstehen, ohne Hartz Vier selbst erlebt haben zu müssen. Allgemein ist es ja so, dass keiner versteht, worüber ein Hartzer klagt, wenn er einer ist, der Hartz Vier nicht kennt.
Um Hartz 4 überflüssig zu machen: Das Bedingungslose Grundeinkommen
Hartz Vier ist kein Einkommen, und ein bedingungsloses Grundeinkommen darf kein Hartz Vier sein. Unter dieser Prämisse klingt eine Formulierung auf Seite 8 wie ein Glaubensbekenntnis:
„Was macht aber das Grundeinkommen für die Soziologie so interessant? Soziologische Theorien, die sich mit der derzeitigen Sozialstruktur, den neuen Arbeitsverhältnissen im flexiblen Kapitalismus, mit dem Abbau des Sozialstaates oder der Alterung der Gesellschaft beschäftigen, kommen mehrfach zur Erkenntnis, dass die Ressourcen des Sozialstaates nicht mehr in der Lage sein werden, den zukünftigen gesellschaftlichen Wandel und die zunehmende Ungleichheit zu kompensieren.“ (Seite 8 unten bis 9 oben)
Das animiert dann doch zum Nachlesen bei Karl Marx bezüglich Arbeit als Lohnerhaltsberechtigung und dem Ersatz von rechtlichen Wesen aus der oberen Stufe der Schöpfung durch Maschinen oder „Künstliche Intelligenz“, wie es heutige Erklärungsmoden zu benennen bevozugen.
Irgendwo im „Kapital“ heißt es:
„Die Arbeit ist ihrem Wesen nach die unfreie , unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum Schaffende Tätigkeit“ (Das Kapital, irgendwo)
Im Umkehrschluss ist die Arbeitslosigkeit demnach das teuflische Grinsen der Privateigentümer, die immer weniger Produktivkräften, also arbeitswilligen Menschen erlauben, die Produktionsmittel, also Arbeitsgeräte, Ausbildung an Arbeitsgeräten und notfalls auch den Erwerb von Arbeitsgeräten zu nutzen.
Andererseits ist Arbeit alles. was ein Wesen tut, um sich zu ernähren, zu kleiden, zu wohnen und individuelle Wünsche zu erfüllen. Diese könnten Bildung und Kultur heißen, oder ganz einfach: Das selbstverständliche Recht aller Schöpfungsmitglieder auf ein behütetes Dasein wahrzunehmen. Und es ist einzig und allein der kalte Wind des Neoliberalismus, der den Menschen den Hut vom Kopf weht, den Orang Utans den Lebensraum stiehlt und den Meeresbewohnern die Umwelt verplastemüllt.
Der Zwischenstand
Christian Greis hat dem Buch einen wertvollen didaktischen Aufbau geschenkt. Zur Einstimmung begibt er sich auf eine ideengeschichtliche Spurensuche zum Thema „bedingungsloses Grundeinkommen“, und diese fängt schon weit vor Götz W. Werner und Dieter Althaus an.3 Er stellt dabei fest, dass es sowohl ethische als auch sozialökonomische Gründe dafür gibt, Menschen in ihrem Dasein nicht auf die Rolle eines leider Gottes beseeelten Produktionsmittels zu reduzieren, sondern auch ihm wie jedem anderen Mitglied der Schöpfung wesensgerechte Lebensbedingungen zu gönnen. Bedingungslose Grundeinkommen sind also sinnvoll, und was einen Sinn ist, das ist auch machbar. Fragt sich nur, wie, und darauf antwortet Greis zunächst mal mit einer Begriffserklärung: Grundeinkommen ist Existenzsichernd, ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe, jeder hat einen individuellen Rechtsanspruch darauf, niemand prüft, ob einer es nötig hat, alles ist ohne Zwang, niemand fordert eine Gegenleistung. 4
Alsdann liefert Greis eine Auflistung von Modellen, wie bedingungslose Grundeinkommen machbar sein könnten:
Zuerst erörtert Greis die Idee der Finanzierung über eine negative Einkommenssteuer.
Mathematisch soll das so funktionieren: Bruttoarbeitslohn plus BGE minus Brutto mal Steuersatz ergibt flexibles Einkommen. Unantastbar, und der Fiskus hätte auch seins davon.
Oder soll man besser eine Konsumsteuer heranziehen, um das Bedingungslose grundeinkommen zu fianzieren? Bitte sehr, dann gäbe es 1000 bis 1500 Euro Fixum pro Monat, und dem Staat bliebe die höher anfallende Mehrwertsteuer.
Modell 3 will den Laden mit einer Finanztransaktionssteuer finanzieren. Da sagen die lobbystischen Kapitalclaqueure „Ah geh“ und fühlen sich schlau wie ein Wiener Schlawiner. Denn dann würde nicht die Arbeit besteuert werden, sondern die Kapitalströme. Das heißt, der Kapitalismus müsste seine Kosten selber tragen. Aber das Prinzip Arbeit als Grundlage für Lohn bliebe bestehen. Dann wäre das BGE auch nur eine Art Sozialhilfe.
Arbeitswelten in einer tätig-freien Gesellschaft
Soweit, so möglich ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Es ist machbar und sinnvoll – also warum nicht? Aber Greis weist auch auf die Veränderungen in den Arbeitswelten hin. Und da pfeift das Thema wie ein Teekessel bei Überdruck. Einerseits immer weniger Arbeitskräftebedarf, aber dafür Hochleistungsträger an Hochleistungscomputern, und für den Rest gibt es minimallohnbezahlte Leiharbeiter, Ein-Euro-Jobber und Arbeiter, die als unbezahlte Ehrenamtler deklariert werden.5
Es ist sehr verdienstvoll von Christian Greis, den Klassenumbau der bürgerlichen Gesellschaft auf der Grundlage des Privateigentums an Produktionsmitteln aktuell verständlich und wiedereerkennbar dargestellt zu haben. Aber um das Problem der Entwicklungstendenzen der Arbeitswelten scheint der Autor ein wenig herum zu drucksen. Entweder braucht das Kapital keine menschlichen Arbeitskräfte mehr: wen will es dann noch beherrschen? – oder es braucht ein paar „Heloten“6
Also bleibt: Den Kapitalismus zu ärgern, indem man etwas tut, womit er nicht rechnet: Einfach nicht käuflich sein, sondern der eignen Arbeitskraft vertrauen. Im Grunde könnte man den Bürgern auch einen Jahresetat ausreichen, und wer mehr erwirtschaftet, spendiert dies der Gesellschaft, ansonsten kriegt er was.
1 Das ist sozusagen die Dialektik von Kompetenz und Problemlösung: Wer etwas nicht kann, wird auf die Position gesetzt, weil das Problem noch gebraucht wird. Siehe „Sockelarbeitslosigkeit“
2 Christan Greis, Zur Zukunft eines bedingungslosen Grundeinkommens“, Promedia-Verlag, Wien 2021
3 Götz W.Werner: Unternehmer, Dieter Althaus. früher Ministerpräsident des Bundeslandes Sachsen-Anhalt
4 BGE und Arbeit bilden immer wieder ein spannendes Nachdenkthema: Eineerseits soll es keinen Arbeitszwang geben, andererseits ist Arbeit immer auch ein sinnstiftendes Element im menschlichen Leben. Denn Arbeit ist, was einer tut. Vgl. auch Das Flugblatt, 22. Juni 2013
5 Dabei wäre es genial, Ehrenamtler für ihre Arbeit dadurch zu entlohnen, dass man ihnen die Kosten für Mieter, Versicherungen und Krankenkasse abnimmt.
6 Erklärung Helot: „Staats-Sklave“. Unfreie, die Aufgaben des bzw für den Staat ausführen. Ich vermeide hier das Wort „Öffentlicher Dienst“.