FEUILLETON-REZENSION: Macht und Wort

FEUILLETON-REZENSION

Buchtitel: Macht und Wort
Autor(en) Hans Jürgen Kugler, Rene Moreau (hrsg.)
Verlag: Hirnkost-Verlag
Name des Rezensenten: Hannes Nagel

„24 Pessimisten überbieten sich in Dystopien“

Man hätte gewarnt sein können. Die Erwartung eines kulturphilosophischen Fachbuches über Macht und Sprache sowie über die Macht der Sprache bei zunehmender sprachlicher Manipulation der Sprache im Interesser von Mächtigen erfüllt „Macht und Wort“ nicht. Aber das Buch Macht und Wort ist eine weitere Anthologie von Erzählungen aus den Hirnen von Autoren des Hirnkost-Verlages, die schon einmal versucht haben, durch den Nebel des Zeitgeschehens in die dahinter entstehende Zukunft zu blicken. Die erste Anthologie war der Versuch, das bis dato unerklärte Phänomen Corona zu erklären und bereits aus Vermutungen Aussagen über das Wesen der Lage ableiten zu können. Heraus kam vor zwei Jahren die Gewissheit, Corona stelle den Beginn einer Zeitenwende dar. Ein Jahr später sind Maßnahmen alltäglich geworden, die ihrerseits Fakten darstellen und daher rückblickend als Fakten benannt werden können, zum Beispiel Maskenpflicht und Impfen. Die sprachliche Beschreibung der Fakten weist wie immer auf die uralten Zusammenhänge zwischen Macht und sprachlicher Dressur der Machtlosen durch die Mächtigen hin. Für jetzt und immer und von Ewigkeit zu Ewigkeit? Et nunc et semper et in saecula saeculorum?
Zum Teil macht die neuerliche Sammlung von Erzählungen genau wieder diesen Eindruck. 24 Pessimisten blicken düster in die Zukunft. Sie sehen ein Ministerium für Synchronisation und Ordnung, welches erlaubte, geduldete und verbotene Formulierungen mittels künstlicher Intelligenz in die Köpfe von Sprachbenutzern pflanzt, Dadurch soll nur Erlaubtes gesagt werden und Vergangenes rückwirkend stillschweigend korrigiert werden. Und dabei ist die erste Geschichte noch beinahe lustig, weil der Tonfall so schnoddrig ist wie in dem Krimi „Das verbotene Zimmer“ von Fred Unger, schon verdammt lang her.
Für eine Steigerung der Finsternisleistung der wetteifernden Autoren spricht die Erzählung mit den „Sprachkorrektiven“ auf Seite 44. („Scissors 4.0“) Scissor wie Schere, Schere im Kopf, willig beflissener eilfertiger Diener des Zensors, nützlicher Idiot, ohne den keine Zensur funktioniert, wie jede Macht nur durch Mit-Machen funktioniert. Sonst gäbe es ja Freiheit. Wo kommt man denn da hin, mit Freiheit. Nicht auszudenken sowas.1 In dieser Erzählung taucht der Begriff „Betreutes Denken“ auf. Hilfreiche Tutoren halten Adepten auf Linie. Da rufen die Schatten der Vergangenheit aus dem Körbchen, in das sie erst kürzlich huschten: „Anleitung der Nomenklaturkader“, „Handelspolitische Schulung“, „psychologische Schulung für Sachgebietsleiter“. Dazu passt die Erzählung „Die Machtvollen“. Die Mächtigen haben immer die gleichen Werkzeuge, um Störungen an ihrer Macht zu reparieren. Da sind aber die Ohnmächtigen beträchtlich mitschuldig. Denn viele von ihnen fühlen einen wohlig-gruseligen Schauer, wenn die Macht agiert, aber man selbst nur Zuschauer ist. Die Macht muss also große sein, damit die Angst sich bestätigt fühlen kann. („Was haben Sie denn? Mit uns kann man doch über alles Reden?“ – Man kann über alles reden, nur nicht über andere Menschen. Denn der größte Schuft im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant)

Auf Seite 29 findet man dann noch einen Satz, der als mögliche Auswirkung der Sprachkontrolle auf die Bildung und Kultur gelten könnte:

„Das Reden hatten ihm seine Eltern gelernt“

Das muss man selbst im Falle eines zufälligen Druckfehlers gelten lassen. So ein Satz entlarvt alles, selbst wenn es eine „Kollateralentlarvung“ ist. Denn wenn Grammatik Sprachkunst ist und Kunst Kultur, dann ist Gendern eine Sprache von Banausen und Social Media nur ein Slangamisieren der dazugehörigen Gruppen, aber Sprachgefühl und Eleganz sollen weiterhin Bildungsausdruck bleiben. Denn auch Optimismus ist zum Teil die kulturelle Überwindung des Pessimismus.


1 Haben Sie die kunstvolle Satirefertigkeit in der Passage über Macht, Zensur und Scheren bemerkt? Wenn nicht, schauen Sie bitte noch mal, die Passage ist es wert.

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