FEUILLETON-REZENSION: “Zensur”

FEUILLETON-REZENSION

Buchtitel: Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte
Autor: Hannes Hofbauer
Verlag:Promedia-Verlag
Name des Rezensenten: Hannes Nagel

„Immer wird genutzt, was man technisch hat“

Wunderbar leichtfüßig erzählt Hannes Hofbauer einzelne Etappen der Geschichtte von staatlicher Zensur freier Gedanken in Büchern, Filmen und Theaterstücken auf. Auf dem Höhepunkt seiner Abhandlung steht, wie es sich gehört, die Erwartung einer Zuspitzung. Zweiseitigen Situationen ist es nun einmal eigen, dass sie eine zeitlang gemeinsam existieren können. Aber keine gegensätzliche Gemeinschaftsexistenz scheint vor einer Eskalataion ihrer Widersprüchlichkeit gefeit zu sein. Irgendwer fängt irgendwann zu handeln an, und meistens sind die Handlungen dann politisch-juristisch, aber nicht gesellschaftlich-menschlich. Diesen Punkt im Buch erwartet man mit Spannung von Seite zu Seite. Und voller spannung will man wissen: Wie erklärt Hofbauer das von vielen geschilderte Gefühl, einerseits könne man schreiben, was man wolle, man träfe ja doch keinen Herrschaftshintern mehr, und andererseits gäbe es einen verbissenen Kampf um die Deutungshoheit von Meinungen, Paradigmen und Formulierungen? Wie nennt man die Sprachkontrolle, die an Stelle der früheren Zensur getreten ist? Die Antwort bleibt offen. Die Wanderung geht weiter. Nach ein paar Meilen vergeht die anfangs erwähnte Leichtfüßigkeit vergehen. Dann passiert das Übliche: Die Füße werden bleiern schwer. Jetzt hinterläßt der Weg durch staatliche und behördliche Hindernisse der Gedankenäußerungen Blasen an den Füßen. Das Hofbauersche Kapitel beginnt mit den Worten „Zensur im digitalen Zeitalter“, genauer gesagt: „Die Instrumente“.

Neue Technik für Text, Vielfalt, Bewahrung und Löschung

Buchdruck, Auflagenhöhe, Zeitungsentwicklung basierten auf der Kulturtechnik des Druckens und Verfielfältigens. Die Möglichkeiten nahmen mit der Digitalisierung noch mehr zu. Man kann heutzutage ganz einfach eine dramaturgisch wiederkehrende, aber alltagspolitisch problematische Szene löschen und durch etwas Harmloses ersetzen. Im ZDF-Programm fiel das mal auf bei einer Verfilmung der Biographie von Kurt Tucholsky anhand des Buches „Schloß Gripsholm“. Ursprünglich war dort eine Kabarettszene der Weimarer Republik eingebaut, in der nach der einer Ravel-Melodie gesungen wurde: „Die Juden sind -an allem Schuld. An allem sind nur – die Juden Schuld“. Diese Szene gab es später nicht mehr. Da sang Jasmina Tabatabai anstelle dessen „Wenn die Igel in der Abendstunde“. Auch ganz schön, aber die Wirkung der gesellschaftlichen Spannung verpuffte klanglos. Man kann darin eine Art digitaler Geschichtsfälschung sehen – wenn man die Ansicht sehr klug begründet.

Hofbauer zählt nun seinerseits die Instrumente der neuen Zensur auf. Das wichtigste Instrument sind das Urheberrecht und das Recht der Wirtschaft gegenüber der Presse, Kritik und kritische Fragen mit dem argumentativen Vergeltungsschlag der Unterlassungserklärung, der Interviewablehnung und der unverzüglichen Klage gegen Medienvertreter zu unterdrücken. Eine Auflistung der Instrumente komprimiert den Gesamtanblick des Werkzeugkastens:

„Strategisches Kommunikationsteam Ost“: (east stratcom taskforce) Wenn antirussisch gleich demokratisch ist, dann sind neofaschistiosche Antirusslandsdemos vom Majdan auch dann demokratisch, wenn selbst Einheimische erkannten, dass mang den Demonstranten faschistische Trittbrettfahrer waren1.Eine proaktive Form der Zensur ist das, die gegen kritische Inhalte eine mit Marketingpsychologie angereicherte Form klasssischer Agitation und Propaganda durchführt.

„Netzwerkdurchleitungsgesetz“: Mit diesem Gesetz erhielten Provider, Plattformbetreiber und Social-Media-Kanäle eine Art Mitwirkungspflicht an der Bekämpfung der Verbreitung von Haßideen und Falschinformationen. Sie mussten zur Pflichterfüllung nur vorher kontrollieren, was Leser in Kommentaren zum Beispiel über Facebook oder Monsanto schrieben. Wenn jeman schrieb, Facebook ist ein Datenkrake und Facebook vorher erklärt hatte, Facebook sei kein Datenkrake, sondern ein altruistisch-anthroposophischer selbstloser Konzern der globalen Menschenliebe, dann durfte war jede andere Kommentarsaussage eine Falschmeldung, die es mit allen Mitteln von Technik, Ökonomie und Recht unnachgiebig zu verfolgen galt. Und wenn Monanto weinte, weil die Bemühungen um die weltweite Bekämpfung des Hungers eine ehrenwerte Anwendung von Chemie und Biologie ist, mit der es vielen Millionen Menschen im Süden besser gehen wird ud die paar Bienen für die Bestäubung auch mit Mitteln des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ersetzbar seien, dann mussten Betreiber mit unnachgiebiger Härte gegen unwissende Ökofritzen vorgehen, die im Artensterben das Sterben der Schöpfung und in der Schuld Unternehmen wie Monsanto sahen. Das war der Sinn des Netzwerkdurchleitungsgesetzes.2

„Mediendienstestaatsvertrag“: Den deutschen Mediendienstestaatsvertrag liest Hofbauer als die Dienstverpflichtung jeder Online-Publikation zur Unterwerfung unter die Inhaltskontrolle, selbst wenn es nur ein nicht-journalistisch, aber genauso aus tiefstem Herzen geführtes Mitteilungsblatt ist. So groß ist der Unterschied am Ende nämlich gar nicht – denn beide münden in einer gesamtgesellschaftlichen dezentralisiert struktuierten Informationsverbreitung für ihre jeweiligen Abnehmer.3

Am Ende der Wanderung schmerzen die Füße

Ganz hinten wandelt sich die Leichtfüßigkeit der Geschichtsabhandlung durch die Anwendung der Geschicht auf Corona-Zensur. Corona-Zensur ist dabei der Oberbegriff für Verschweigen von Infos und ein Minimum an zugelassenen Formulierungen. Dabei bedeuten Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit unmittelbar auch Formulierungsvielfalt und Formulierungsfreiheit. Hofbauer beginnt mit einem Polenböller-Anschlags-Versuch auf einen umstrittenen Publizitiktätigen namens Ken Jebsen. Nach offizieller Lesart soll es „keinen Anhaltspunkt für einen Anschlag“ geben. Es soll aber auch einen russischen Anwesenden in der Menschenmenge gegeben haben, der über militärtätige Erfahrungen insbesondere mit Böllern, Lunten und Sprengmitteln verfügt, der die Anwendung von Böllern „am Geruch der brennenden Lunte“ erkannt hatte. Im Krimi würden die Ermittler im Idealfall sagen: „Der Spur müssen wir mal nachgehen.“. Aber im Krimi bremst dann gleich das LKA oder der Staatsanwalt oder, ganz vornehm, „das höhere Interesse“. Im Interesse der Vielfalt, des Audiatur et altera Pars und der Freihen Denkausbildung lohn sich die Lektüre dieses Buches ganz mächtig gewaltig.

(Hannes Hofbauer, „Zensur. ”, Promedia-Verlag 2022)


1  Zum Verstehen eignet sich das vergleichende Lesen von Hannes Hofbauers vorliegendem Buch mit Wolfgang Bittners Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“

2 Ein Schelm, der hierbei an Zensurmethoden denkt. Oder nicht?

3 Das Einzige, was Journalismus über Informations-Liebhaber erhebt, ist ihr zweifelhafter Ruhm auf dem Gebiet der Sprachfeldbestellung. Manchmal haben Hobbygärtner die schöneren Gärten und die opulentere Ernte, auch wenn sie es nicht so schön ausdrücken können

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