ONKEL JULES VERNEUM: Sylvicultura Oeconomica

ONKEL JULES VERNEUM

„Wieder-Entdeckung vergessenen Wissens“

Als 1990 die Wiedervereinigung von DDR und BRD anstanden, gab es Menschen mit schnelllebigen Geschäftsideen und welche, bei denen die Ideen langsam wuchsen wie ein Wald. Weshalb es dann wohl auch lange dauerte, bis im Osten der Wunsch aufkam, „ehemalige Tuppenübungsplätze aufzuforsten”. Truppenübungsplätze wurden aus Aufforstungsüberlegungen nach kurzer Erwägung von Kosten und Nutzen wieder ausgeklammert. Von Ausnahmen abgesehen, siegte der Weiternutzungsaspekt aus Sicherheitsgründen. Denn wie man seit der mehr oder weniger verdeckten Beteiligung der NATO am Krieg zwischen Russland und der Ukraine sieht, kann man nicht genau wissen, ob und wozu man noch mal ehemalige militärische Infrastrukturen braucht. Bei ehemaligen Braunkohletagebauen sieht die Sache einfacher aus. Diese Flächen spielten im Gesamtprofitkonzept des übernehmenden Teils der Vereinigungspartner keine Rolle. Hier konnten sich dann Forstbetriebe und Umweltschutzingenieure ausprobieren und als Bestandteil der Renaturierung erste Erfahrungen mit der Aufforstung sammeln.

Versuch macht klug, heißt es, unbd Probieren geht über studieren. Ähnlich wie man an einen vergrabenen Schatz erst durch das Wegschaufeln des Bodens kommt oder an den Kern an einer Nuss durch das splitternde Knacken der Schale, so kommt man an die Lösung einer Aufgabe oft erst durch die Feststellung, dass das eine Reihe von bisherigen Versuchen noch nicht die Freilegung der Nuss an sich ist ist. Aber mit jedem Schritt kommt man ihr näher, und am Ende schmeckt die Nuss im Kuchen. Uns wuchs über eine lange Zeit ein erfahrungsschatz heran, über den schon vor 300 Jahren eine Chronologie der Fehlversuche mit Schlussfolgerung für gelingende Versuche der sächsische Oberberghauptmann und königlich-polnische sowie kurfürstlich-sächsische Kammer-und Bergrat Johann Hannß Carl von Carlowitz das Buch schrieb „Sylvicultura Oeconomica“, deutsch: „Wirtschaftliche Waldkultur“. Das war 1713.

Staunend weite Leseraugen

Wenn 2022 ein Mensch über die Idee spricht, sich einen kleinen Wald zu kaufen und ihn zu hegven, zu pflegen und ihm nur soviel zum Leben zu entnehmen, wie er dem Wald auch wieder zurückgeben kann, hört ein Mensch oft die Antwort: “Wenn Du unbedingt Geld verlieren willst, kannst es auch gleich mir geben”. Beide Menschen würden jetzt aber mit staunend weiten Augen vernehmnen, dass im Oekom-Verlag ein 300 Jahre altes Buch neu erschien, dessen modernster Bezug zur Gegenwart die Benutzung des Wortes “Nachhaltigkeit” ist. 1713 verwendete es Hans Carl von Carlowitz in dem Urdruck des hier von Oekom-Verlag neuaufgelgten Buches. Titel, 1713 wie auch 2013 und jetzt, 2022: Sylvicultura oeconomica, deutsch: Wirtschaftliche Waldkultur. Mit sprachgeschichtlich wiedererkennbaren Elementen in Syntax, Lexik und Ausdruck schrieb Hans Carl von Carlowitz:

„Wird derhalben die gröste Kunst / Wissenschafft / Fleiß / und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.“

Ein Blick durch das Lebenszeitfenster von Hans Carl von Carlowitz

Drei Jahre vor der Unterzeichnung und Veröffentlichung des Westfälischen Friedens zum Zwecke des Abschlusses des Dreissigjährigen Krieges strömte die Luft des Lebens ducch das gerade geöffnete Zeitfenster in die Lungen von Hans Carl von Carlowitz. Es war der 14 oder 24 Dezember 1645, je nachdem , ob man den gregorianischen oder den julianischen Kalender als Grundlage der Lebenszeitrechnung anwendet. 1714 starb er Mann im jungen Alter von 69 Jahren, wo die Reife des Lebenswerkes gerade beginnt. Sein Waldkultur-Nachhaltigkeitsbuch von 1713 ist quasi sein “Vermächtnis”. Der dreißijährige Krieg hatte 65 Jahre mit dem Frieden von Osnabrück seinen formalen Abschluss gefunden. Seit 1700 tobte bereits der näcchste Krieg in Europa. Diemal im Norden, und es ging um die Vorherrschaft im Ostseeraum und damit um Handelswege und Rohstofflieferungen. Die Nachwirkungen des Dreißigjährigen muss man wohl weiterhin gespürt haben: Denn Holz wurde zum Neuaufbau gebraucht und auch zum Heizen und Kochen, Und in der Kunst: Nämlich für Schnitzereien und Möbel. Kurz: Zestörte Wälder und Kriegsverödetes Land bedurften der Aufforstung. Das Wachstum musste einerseits schnell gehen, andereseits auch mit Weile, damit auch langlebige Bäume wachsen konnten, deren Reife erst die dritte Generatione von Forstleuten erlebt. Das alles stellte Hans Carl von Carlowitz so ausführlich und aus der Sicht der jeweils befassten Berufe war, dass es immer noch für Ingeneiuere, Raumbiologen, Heizungsfachleute, Forstleute, Volkswirtschaftler und Historiker eine enorme Informationsquelle ist.

Hans Carl von Carlowitz, der historische Fachberater

Ein 300 Jahre altes Buch mit Antworten auf aktuelle Fragen ist fürwahr das Werk eines historischen Fachberaters. Fachleute von heute können auf die Lösungen von früher zurück greifen und sie auf die heutigen Besonderheiten anwenden. Daher gebührt ihm tatsächlich der Titel „Geschichtsberater“, den es ansonsten nur nur literarisch-feuilletonistisch-essayistisch gibt.

(Hans Carl von Carlowitz, „Sylvicultra Oeconomica, neu editiert von Joachim Hamberger, Oecom-Verlag)

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