Quergedachtes: 77 Jahre braun

Quergedachtes

Freitag, 29.01. 2010

Autor: Hannes Nagel

77 Jahre braun

Offiziell ist die braune Phase der Deutschen seit 65 Jahren beendet, die vor 77 Jahren begann. War das ein Ausrutscher oder eine Experimentierphase? Durch die Köpfe spukt der mit mit dem komischen Bärtchen immer noch, und als Titelbild für beinahe beinahe jede auf die braune Zeit bezogenen Jahrestag ist er fast jedem illustrierten Medium gut. Auch Film und Dokumentation leben ganz gut den dem Vertreter jener Phase. Es gibt Entwicklungen im politischen Verhalten der Staaten, die sehen aus, als habe man heimlich Hitler studiert, um von ihm zu lernen. Glauben Sie nicht? Vor Jahren hörte ich mal jemanden sagen: „1945 brachten die Amerikaner den Deutschen die Demokratie. Im Gegenzug nahmen sie den Nationalsozialismus mit, um zu studieren, was davon brauchbar wäre“. Das mag für Krieg, Folter und Arbeitswelten stimmen, aber noch nicht für Meinungsfreiheit. Ja, auch für Arbeitswelten. Ein Soziologe aus Amerika, Richard Sennett, nennt bestimmte Formen in den Arbeitswelten „weicher Faschismus“. Irgendwas wird ihn dazu veranlasst haben, hoffe ich, sonst wäre der Begriff nur frei dahin fabuliert.

Noch helfen Lächeln und Lachen, um die rein einfarbigen Phasen unterschiedlicher Wellenlängen bunt zu klecksen. Gehören die demokratischen Reflexe auch zur politischen Einfarbigkeit? Demokratische Reflexe sind die jeweiligen Empörungen, wenn einer in der Öffentlichkeit einen Bezug zur braunen Phase herstellt und alle anderen rufen „Hitlervergleich“ oder auch „Goebbelsvergleich“. Meinungsvielfalt ist jedes mal gefährdet, wenn eine Diskussion geführt werden soll. Warum muss denn ein anderer immer seine Meinung ändern? Wer andere totdiskutiert, schaltet doch dessen Meinung aus. Die Anzahl der Meinungen verringert sich und die Meinungsvielfalt wird kleiner. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass sich der Sprachgebrauch der Meinungsverrringerung anpasst? Wenn Begriffe und Redewendungen, Ausdrücke mithin, aus Justiz und Wirtschaft in allen anderen Lebensbereichen angewendet werden, kann sich doch irgendwann keiner mehr anders als juristisch und ökonomisch ausdrücken. Wie armselig ist das doch. Wie soll man mit dem Vorkabular aus Recht, Wirtschaft, Militär, Verwaltung und Polizei zwischenmenschliche Sachverhalte menschlich ausdrücken? Das geht nicht. Es sei dann, man lächelt. Solange man nicht zur Kriegsteilnahme gezwungen ist oder rein vorbeugend in einem Lager verschwindet. Weiß man, was alles noch kommt? Vorher Lachen hilft vielleicht, Dinge zu verhindern, über die man hinterher nur weinen kann.

Wozu aber ist Meinungsfreiheit gut? Wozu soll und darf man seine Meinung äußern? Um ein friedliches Zusammenleben auch unterschiedlicher Meinungen zu ermöglichen? Um sie vielleicht erst einmal zu erfahren? Könnte eine Horizonterweiterung sein.

Das Lachen und das Lächeln werden gebraucht, um aus den Fausthieben der Politik Streicheleinheiten zu machen.

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