Zeitgeist: Das Prekariat schafft den Klassenaufstieg

Sonntag, 28. März. 2010

Autor: Hannes Nagel

Das Prekariat schafft den Klassenaufstieg

Für Naturwissenschaftler war es ein Sensation, als sie aus Erbgutuntersuchungen eine bisher völlig unbekannte Menschenart entdeckten, deren Vertreter Zeitgenossen der Neandertaler waren. Das Erbgut fanden sie in einem Finger im Altai-Gebirge. Der Fingerzeig aus Ostsibirien wies die Forscher darauf hin, dass neben den Neandertalern und den modernen Menschen noch eine Gruppe von Menschen zeitgleich existierte. Sie war sozusagen eine Parallelgesellschaft zu den bekannten Menschengesellschaften vor unvorstellbaren 30.000 Jahren.

Neandertaler und moderne Menschen unterschieden sich in ihrer Lebensweise und ihren kognitiven Fähigkeiten, sagen Naturwissenschaftler. Die Erkenntnis könnte damit weitgehend abgeschlossen sein und müsste keines Menschen Geist mehr kitzeln. Was aber, wenn man, um die Bedeutung der naturwissenschaftlichen Sensation zu würdigen, einen kleinen Analogieschluss vollzieht? Menschen, die sich in ihrer Lebensweise und den kognitiven Fähigkeiten voneinander unterscheiden, nennen Soziologen von heute gerne auch mal Klassen. Seit der Globalisierung und dem Dilemma von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Verarmung werden hauptsächlich zwei Klassen von Menschen angenommen: Die Besitzenden und das Prekariat, welches alles verlieren kann und mit dieser Sorge von einem Tag in den folgenden lebt. Nach dem Prekariat kommt die Armut und nach der Armut der Tod. An der Stelle kommt Hoffnung. Hoffnung, das aus der Armut und der prekären Lage eine neue Parallelgesellschaft entsteht. Die Hoffnung hat schon einen Namen, die Hoffnung ist eine neue Klasse, die Hoffnung ist die Klasse der „Kulturellen Kreativen“.

Den Namen gab der Klasse ein amerikanischer Soziologe, Paul H.Ray heißt er – und wieso hat man den Klassennamen in Deutschland fast noch nie gehört, obwohl es den Namen bereits seit gut zehn Jahren gibt? Die Kulturellen Kreativen beschreibt ihr Entdecker als Menschen, die auf ihre zwischenmenschlichen Beziehungen achten, die ihre Persönlichkeit vervollkommnen, die umweltbewusster Leben, dabei auch Spiritualität und Tradition nicht verachten und daher Tradition und Moderne synthetisch verbinden. Das wird, so Paul H. Ray, eine Klasse, die ohne Klassenkampf auskommt, weil sie eine integrierende Klasse ist. Das wird Thilo Sarrazin nicht gefallen, aber das ist auch egal. Vielleicht lässt ja auch er sich integrieren.

Siehe auch: www.kulturkreativ.net, http://www.dosisnet.de/edi.pdf

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