Quergedachtes: Die Nachahmungstäter

Montag, 19. April 2010

Autor: Hannes Nagel

Die Nachahmungstäter

Spätestens seit es Hartz Vier gibt, erinnert die Entwicklung des sozialen Zustands des Landes fatal an die Weimarer Republik. Das Heute prägen drei bis fünf oder mehr Millionen Arbeitslose, steigende Gesundheitskosten bei sinkendem Einkommen, Bereicherungsgier, Terrorgefahr (besser: Kriegsgefahr) und Säbelrasseln sowie eine fatale Erniedrigung der zwangsweise Langzeitsarbeitslosen. Die Weimarer Republik prägte Massenarbeitslosigkeit, Inflation, Aufrüstung und zunehmender Antisemitismus. Heute machen Urban Priol und Georg Schramm „Neues aus der Anstalt“, die Weimarer Republik …., ach, fragen Sie doch Max Raabe.

In der Weimarer Republik machte der sich radikalisierende Antisemitismus die Juden zu den Opfern sich anschließenden nationalsozialistischen Diktatur. Heute macht die sich verschärfende Globalisierung, schleichende Faschisierung der demokratischen Welt und die Wirtschaftskrise samt Fehlentwicklung von Umweltschutz, Ehrfurcht vor der Schöpfung und der verengte Horizont, der nur bis zur nächsten selbstverursachten Sintflut reicht, die Arbeitslosen zu Hartz-Vier-Opfern. Wo Opfer sind, gibt es Täter, und Täter kann man vergleichen. Muss man wohl auch, wenn es sich um Nachahmungstäter handelt.

Die „Taten“ der Nachahmungstäter sind Überlegungen und Gesetzentwürfe der deutschen Politik. Bereits mit wenig bösem Willen und geringem geistigen Aufwand sehen viele dieser Überlegungen und Gesetzentwürfe wie Varianten früherer Politiktaten aus. Es ähnelt die Tonart der Gesetzgebung zur Beschlagnahme jüdischer Vermögenswerte – Arisierung genannt – fatal der Tonart und der Gesetzgebung, die Hartz-Vier-Opfern die Preisgabe der gesamten verwertbaren Besitzes abforderte. Der eine Täter, Peter Hartz, ist jetzt vorbestraft, aber ein Nürnberg war seine Bestrafung eher nicht. Eher so eine milde Sache wie der Landesverratsprozess gegen A.H. und andere, als sie gegen die Weimarer Republik putschten. Sowohl A.H. als auch P. H. haben danach erst mal jeder ein Buch geschrieben. Auf dem Gebiet der inneren Sicherheit betätigte sich ein anderer, der wie sein Vorgänger aus Sicherheitsgründen gerne die Trennung von Geheimdiensten und ordentlicher Polizei aufheben wollte (gibt es eigentlich ordentliche Polizei oder heißt die anders?) Es hat schon einen guten Grund, dass es keine Gestapo und kein Reichssicherheitshauptamt mehr geben soll. Methodisch allerdings scheint es kaum Hemmungen zu geben. Der nackte gläserne Bürger soll jedoch nicht in Angst und Furcht leben, sondern in künstliche Dummheit versetzt werden, um die Dinge nicht zu bemerken, die auf ihn zukommen. Dazu gibt es das Fernsehen und die Werbung. Die schaffen das. Werbung als Hilfspolizei. Die Nachahmungen der früheren Taten sind beinahe unbeweisbar, aber effektiv.

Vielleicht ist es doch überlegenswert, wie Menschen sich im Stillen vom Geschrei der Täter und dem Eindringen in immer tiefere private Schichten frei machen, denn die Täter schaffen immer mehr künstliche Abhängigkeiten. Das empfand auch Friedrich Schiller schon mal so. Und der verlor dennoch nicht den pointierten Witz. Sehen Sie, der Witz bleibt, Geschrei vergeht.

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