Menschenrechte: Das Manöver Kachelmann

Mittwoch, 04. August 2010

Autor: Hannes Nagel

Das Manöver Kachelmann

Niemand soll lauter schreien, als der Skandal groß ist. Wenn man nicht einmal weiß, worin der Skandal besteht, soll man die Klappe halten. Wer schreit, soll schon wissen, worüber. Das Manöver Kachelmann zeigt, dass alle über Kachelmanns Männlichkeit als Bedrohungspotential für Alice Schwarzer und andere schreien. Sie schreien am Thema vorbei. Der erste Schrei muss der nicht mehr wiederholten Aussage der Polizei gelten, die sich brüstete, einen Prominenten in aller Öffentlichlichkeit verschwinden zu lassen, ohne dass die Bevölkerung etwas mit bekommt. Das war offenbar die Manöverlage, die durchgespielt werden sollte, um zu sehen, was eventuell als nächstes kommen könnte.

Seit kurzem ist Kachelmann wieder frei. Er gab ein Interview. Er sagte, die Behandlung war gut, und das Personal ging respektvoll mit den Gefangenen um. Der Satz erinnert an einen politischen Witz. Da wurde einer aus dem KZ entlassen und sagte, man konnte den ganzen Tag Sport machen, es gab genug zu essen, und mit Problemen konnte man sich vertrauensvoll an das Personal wenden. Ein Zuhörer entgegnete, seinen Nachbarn hätten sie auch entlassen, der hat aber das Gegenteil gesagt. „Aber der ist auch schon wieder drin“, sagte der soeben Entlassene. Aufschrei Nummer zwei: Sind alle öffentlichen Äußerungen zum Fall Kachelmann getürkt? Warum? Wer vertuscht hier was? Was kommt noch nach?

In einer Talkrunde bei Anne Will quatschten kürzlich ein Haufen Leute darüber, ob Kachelmann ein Vergewaltiger sei. Das waren ganz geniale Leute, denn sie alle sprachen, als ob sie in Kachelmanns Seele stecken würden und daher alles ganz genau wüssten. Nur der eigentlich Betroffene, der war nicht dabei. Die medialisierte Dummheit scheint der kümmerliche Geist der heutigen Zeit zu sein. Sozusagen der Letzte Schrei.

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