Als würden Lippen knutschen

Quergedachtes

Dienstag, 10. August 2010

Als würden Lippen knutschen

Autor: Hannes Nagel

Als würden Lippen knutschen

Ärger gibt es immer mal. Ärgernisse sind genauso vielseitig wie die Möglichkeiten, den Grund des Ärgers zu beseitigen. Oder zu beenden. In Freude umzuwandeln. Unzählige Möglichkeiten gibt es. Umso ärgerlicher ist es, dass nur einer Berufsgruppe die Kompetenz zugesprochen wird, die brodelnden Emotionen des Ärgers zu beschwichtigen: Die Juristen. Die Juristen sind überall. Wo immer eine Entscheidung getroffen werden soll oder eine Aufgabe zu lösen ist, wo Klugheit und Verstand gefragt sind, hat irgendein Jurist die Position des Bevollmächtigten Beauftragten eingenommen.

Ein Rechtsstaat ist ja von der Idee her etwas Schönes. Wenn jedoch der Rechtsstaat zum Juristenstaat wird, entsteht ein Zerrbild der schönen Idee. Es findet eine Wandlung vom Engelsbild in eine Teufelsfratze statt. Juristen übersetzen die Umgangssprache in justitiable Äußerungen, gegen die sie dann im Auftrag von Mandanten vorgehen. Aus „Lassen Sie mich doch zufrieden“ wird etwas, was keiner gesagt hat. Also eine behauptete, aber nie getätigte Äußerung, gegen die man Paragraphen schwingen kann.

So dämlich kann man gar nicht denken, bevor man spricht, dass man juristischen Wortverdrehern keinen Verdrehungsspielraum mehr lassen muss. An sich wäre das nicht weiter schlimm. Man könnte mit5 den Schultern zucken und sich sagen: „Red’ Du man, red’ Du man, wat Du seggst, geiht mi gor nix an“. Wenn da nicht die spaßlose Allmacht wäre, mit der Juristen die Sprache in einen Maßregelvollzug stecken würden. Wenn erst mal ein Gericht sich mit einem behaupteten Sachverhalt befasst, ist alles zu spät. Sie reden vielleicht von einem harmlosen Satz, einem Blick, einer Geste, Ihre Gegenseite, von der Sie bis heute nicht wissen, wo die plötzlich her gekommen ist, redet von Nötigung, Beleidigung, Betrug. Wenn Ihre Gegenseite solche Worte in den Mund nimmt, wertet sie, und ein Gericht kuckt ins Lexikon, da steht, wenn einer nötigt, gehört er bestraft, was soll das Gericht anderes machen? Bloß weil man Ihnen was in die Umgangssprache rein interpretiert, was Sie nicht mal im Entferntesten gedacht haben, stehen Sie da wie Max in der Sonne.

Zum Glück hat der umgangssprachliche Kriegsminister Guttenberg mit der Formulierung vom umgangssprachlichen Krieg die Möglichkeit gezeigt, dass Sie sich in allem, was gegen Sie unternommen wird, auf die Umgangssprache zu berufen. Ob Sie damit durchkommen, hängt davon ab, ob das Gericht außer Juristendeutsch auch noch normales Deutsch versteht. Normales Deutsch ist das, was in den zwischenmenschlichen Sprachbereichen gesprochen wird. Also in den Bereichen Liebe, Freundschaft, Solidarität, Nachbarschaftshilfe, Satire, Kunst, Kultur, Geist, Witz. Sprache kann zärtlich sein. Freundlich. Stundenlang anhaltende gute Stimmungen hervorrufen. Alles nur mit den Lippen und der Zunge. Beim Küssen und beim Sprechen benutzt man die gleichen Organe. Küssen ist nur deshalb nicht das gleiche wie Sprechen, weil man beim Sprechen zusätzlich noch andere Organe benötigt. Stimmbänder. Zum Küssen sind sie nicht nötig.

Es kann doch daher nicht so schwierig sein, das Sprechen so freundlich zu gestalten, als würden Lippen knutschen. Einen jeglichen würdigte man so, wie er gewürdigt zu werden wünscht. Über einem Vormittag bei Ämtern und Behörden würde der Geist der Nächstenliebe schweben. Das wäre schön. Bussi.

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