Kultur: Schachkonstrukte aus Apolda

 

Kultur

Donnerstag 26. August 2010

Schachkonstrukte aus Apolda

Autor: Hannes Nagel

Schachkonstrukte aus Apolda

Es ist August. In Apolda wird Schach gespielt. Schach ist ein altes Spiel und Apolda eine Stadt in ihren besten Jahren. Apolda ist wie eine reife attraktive Frau, die mit Pflege und Kosmetik immer noch Herzklopfen bewirken kann. Frauen und Städte sind sozusagen das, was sie aus sich machen. Apolda wurde, wie Apolda ist, durch das lebhafte Gewerbe, welches hier seit dem 14. Jahrhundert betrieben wurde. Die Tendenz ist zur Zeit leider abflauend. Stat dessen gibt es in Apolda aber lebhaftes Schachspiel. Schach wird seit 1992 gespielt. „Open Schach“ heißt die Veranstaltung, seit es sie gibt, und ebenso lange hat Lutz-Dieter Gruber mit dem Open Schach von Apolda zu tun.

Lutz-Dieter Gruber ist einer von den Schachspielern, die sich am Ende eines Spieles mit den Möglichkeiten befassen, wie das Spiel auch hätte ausgehen können. Eine Schachfigur hat mehrere Optionen, aber der Spieler kann sich nur für eine einzige entscheiden. Schach ist die Reduzierung der Möglichkeitsvielfalt auf eine einzige EntscheidungDas kann zum Sieg führen oder auch nicht, und dann kommen Lutz-Dieter Gruber und die Schachfreunde von der Disziplin Schachstudien-Entwicklung zusammen und denken die nicht genutzten Möglichkeiten durch. Das Militär würde dazu „Manöverkritk“ sagen. Vielleicht sind deshalb so viele Politiker, Staatsmänner, Wirtschaftsführer und Machtinhaber vom Schachspiel fasziniert. Die „Deutsche Schach Zeitschrift“ befragte einmal berühmte Schachspieler nach den typischen Charaktereigenschaften von Spielern. Manchen Spielern bescheinigten die Befragten „einen Hang zum Zynismus, der Abschrecken kann“. Andere hatten in der Schachszene „viele freundliche, offene und beeindruckende Menschen kennengelernt“. Es konnte auch beobachtet werden, dass „die meisten Spieler recht intelligent sind, aber nicht alle von ihnen nutzen diese Fähigkeiten auf sozialem Gebiet“. Das müssen vermutlich die Politiker und Staatsmänner unter den Schachspielern gewesen sein. Wenn einmal die Schachfiguren selber Spieler wären, dann wären sie bestimmt aus ihrer Erfahrung heraus daran interessiert, die andere Seite zu erreichen, ohne die jeweils andersfarbigen Figuren vom Brett zu schlagen. Lutz -Dieter Gruber meinte, eine solche Spielweise sei nur dann möglich, wenn die Regeln zuvor geändert würden. „Es liegt an den Bauern. Alles hängt von den Bauern ab. Und immer werden sie geopfert“, sagt er. Das ist wie im wahren Leben. Wenn man einmal im Reglement zuließe, dass die Bauern auch dann schräge Züge machen dürften, um den Andersfarbigen aus dem Weg zu gehen oder um sie herum, und das Ziel des Spieles nicht wie im kriegerischen Sinne im Sieg bestünde, sondern im humanistischen Sinne darin, dass Weiß Scharz besucht und Schwarz Weiß, dann könnte man so spielen. Aber das wäre ein anderes Spiel. Und wenn Weiß nicht will, braucht Schwarz es gar nicht erst zu versuchen, Regeln und Ziele ändern. Das ist beinahe schon revolutionär.

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